-- WEBONDISK OK --

Newsletter Besteuerung der öffentlichen Hand 10/2021

Von Professor Thomas Maier, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl

Rechtsanwalt/Steuerberater

Nr. 10/2021

Aktuelles Urteil

Kapitalertragsteuer: Zulässigkeit der Rücklagenbildung bei einem Betrieb gewerblicher Art, der Teil eines Eigenbetriebs einer kommunalen Gebietskörperschaft ist
Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, Gerichtsbescheid vom 27.1.2021 - 2 K 135/17

Sachverhalt:
Die Gemeinde G unterhält den Eigenbetrieb X. Die Tätigkeit des Eigenbetriebes umfasst neben dem Hafen- und dem Kurbetrieb auch die Vermögensverwaltung der kommunalen Wohnungen, die Durchführung des Winterdienstes auf den kommunalen Straßen, die Erhaltung und den Betrieb des Hubschrauberlandeplatzes sowie weitere, dem hoheitlichen Bereich zuzurechnende Aufgaben.

Entsprechend der Regelungen der Eigenbetriebsverordnung wird die Gewinnermittlung zunächst für den gesamten Eigenbetrieb und sodann auch für jeden Bereich einzeln erstellt. Soweit in einem Betriebsbereich hoheitliche Betätigungen enthalten sind, werden diese Leistungen gegenüber der Gemeinde oder dem Amt … gesondert abgerechnet.

Das Finanzamt führt und veranlagt den Kur- und den Hafenbetrieb jeweils als gesonderte Betriebe gewerblicher Art (BgA). Der Eigenbetrieb, der BgA Hafenbetrieb und der BgA Kurbetrieb ermitteln ihre Gewinne jeweils durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Die Ergebnisse der BgA finden sich jeweils saldiert im Gewinn/Verlust des Eigenbetriebes wieder. Im Jahr 2013 erwirtschaftete der Hafenbetrieb einen Gewinn; der Kurbetrieb erzielte dagegen einen Verlust.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass es im Jahr 2013 zu einer Verlustverrechnung zwischen den beiden BgAs gekommen sei. Darin sei eine Mittelverwendung zu Zwecken außerhalb des BgA Hafenbetrieb zu sehen, welche die nachgelagerte Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG nach sich ziehe. Der erwirtschaftete Überschuss des BgA Hafenbetrieb werde zu betriebsfremden Zwecken – dem Verlustausgleich des Betriebszweiges Kurbetrieb – verwendet. Damit lägen kapitalertragsteuerpflichtige Leistungen i.H.v. … € beim BgA Hafenbetrieb vor. Das Finanzamt setzte deshalb mit Bescheid vom 20.10.2014 für den BgA Hafenbetrieb u. a. die Kapitalertragsteuer i.H.v … € fest.

Die G ist dagegen der Auffassung, dass der Gewinn 2013 des BgA Hafenbetrieb in Höhe des nicht ausgeschütteten Restbetrages stehengelassen worden sei. Es habe daher weder eine Überführung des Gewinns des Hafenbetriebes in den hoheitlichen Bereich der Gemeinde noch in den BgA Kurbetrieb stattgefunden. Der Hafenbetrieb sei als anlagenintensiver Betrieb darauf angewiesen, die erwirtschafteten Gewinne für zukünftige Investitionen zu reservieren. Während des Einspruchsverfahrens reichte die G den Beschluss der Gemeindevertretung vom 1.12.2014 zum Jahresabschluss 2013 des Eigenbetriebes ein. Darin wurde u. a. Folgendes beschlossen:
„… Der Jahresgewinn beträgt EUR …, worauf auf den Hafenbetrieb ein Gewinn in Höhe von EUR … entfällt, auf den Kurbetrieb ein Verlust von EUR … Von dem Gewinn des Hafenbetriebes werden EUR … (Bruttoausschüttung) an die Gemeinde G … ausgeschüttet. Der verbleibende Gewinn in Höhe von EUR … wird auf neue Rechnung vorgetragen. Der Verlust im Kurbetrieb in Höhe von EUR … wird durch Verrechnung mit dem Gewinnvortrag des Kurbetriebes ausgeglichen.“

(Nichtamtliche) Leitsätze:
1. Werden in einem Eigenbetrieb einer kommunalen Gebietskörperschaft sowohl ein BgA, der Gewinne erzielt, als auch ein defizitärer BgA betrieben, erfolgt zwischen ihnen keine (der Kapitalertragsteuer unterliegende) Verlustverrechnung, wenn die Gemeinde beschließt, den Gewinn des einen BgA einer Rücklage i.S.d. § 20 Abs 1 Nr. 10 b EStG zuzuführen.

2. Für die Bildung einer Rücklage i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG besteht – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF, Schreiben vom 26.9.2019, BStBl. I 2019 Seite 97, Rdnr. 35) – keine zeitliche Einschränkung von 8 Monaten.

Nach Auffassung des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern habe das Finanzamt Kapitalertragsteuer zu Unrecht festgesetzt, weil der BgA Hafenbetrieb seinen Gewinn nicht für Zwecke außerhalb des BgA verwendet, sondern den Rücklagen zugeführt habe. Der BgA Hafenbetrieb, der Teil des Eigenbetriebs X der G sei, sei als sog. Regiebetrieb einzustufen. Als Regiebetrieb besitze er keine eigene Rechtspersönlichkeit, sei außerdem nicht von der Körperschaftsteuer befreit und ermittele seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich.

Entgegen der Auffassung des Finanzamts habe der BgA Hafenbetrieb den hier streitigen Gewinnanteil seinen Rücklagen zugeführt, so dass insoweit keine steuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG entstanden seien.

Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 30.1.2018 - VIII R 42/15, BStBl. II 2019 S. 96; VIII R 15/16, BStBl. II 2019 S. 101) führt das Finanzgericht zur Rücklagenbildung folgendes aus:
Die Bildung einer Rücklage i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG sei auch im Fall des Regiebetriebs einer kommunalen Gebietskörperschaft zulässig. Mangels gesetzlicher Beschränkungen reiche für deren steuerliche Anerkennung jedes „Stehenlassen" der handelsrechtlichen Gewinne als Eigenkapital aus, sofern anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden könne, dass dem Regiebetrieb die entsprechenden Mittel weiterhin als Eigenkapital zur Verfügung stehen sollen. Angesichts der auf Fiktionen basierenden Besteuerungsmerkmale seien hieran aber keine strengen Anforderungen zu stellen. So reiche es im Fall einer kommunalen Gebietskörperschaft grundsätzlich aus, dass die Bildung der Rücklagen auf Beschlüssen der zuständigen Gremien der Trägerkörperschaft beruhe, auch wenn diese Beschlüsse haushaltsrechtlich nicht bindend seien und sich nicht in einer kameralistischen Buchführung der Trägerkörperschaft niederschlagen können.

Daran gemessen haben die Voraussetzungen für die Bildung einer Rücklage in entsprechender Höhe vorgelegen. Die BgA Hafenbetrieb und Kurbetrieb haben den für das Jahr 2013 erzielten Gewinn bzw. Verlust jeweils durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Auf der Grundlage des Beschlusses der Gemeindevertretung zum Jahresabschluss 2013 des Eigenbetriebes sollte aus dem auf den BgA Hafenbetrieb entfallenden Gewinn ein bestimmter Anteil an die Gemeinde ausgeschüttet werden. Hinsichtlich des auf den BgA Kurbetrieb entfallenden Verlustes sei ausdrücklich festgelegt worden, dass dieser nur durch Verrechnung mit dem Gewinnvortrag des Kurbetriebes – und nicht durch Verrechnung mit dem Gewinn des BgA Hafenbetrieb – ausgeglichen werden sollte. Im Streitfall sei der für den BgA Hafenbetrieb ermittelte und nicht an die Gemeinde ausgeschüttete Jahresüberschuss in der Bilanz ausdrücklich in eine (Gewinn-)Rücklage eingestellt und damit tatsächlich in der Bilanz des BgA Hafenbetrieb ausgewiesen worden. Damit könne anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden, dass dem BgA Hafenbetrieb der nicht an die Gemeinde ausgeschüttete Gewinn weiterhin als Eigenkapital für dessen satzungsmäßige Zwecke zur Verfügung stehen sollte. Dies reiche für die Zuführung zu den Rücklagen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG aus.

Das Finanzamt könne sich zur Begründung seiner Auffassung auch nicht auf das BMF-Schreiben vom 28.1.2019 (BStBl. I 2019 S. 97) berufen. Nach Rdnr. 40 gelte danach ein Gewinn für Zwecke außerhalb des BgA als verwendet, wenn er einem anderen BgA der gleichen Trägerschaft oder einer Eigengesellschaft zugeführt werde. Eine solche Zuführung zum BgA Kurbetrieb oder zum Eigenbetrieb „Hafen- und Kurbetrieb“ habe im Streitfall indes ausweislich des Beschlusses der Gemeindevertretung nicht stattgefunden.

Auch aus Rdnr. 35 des BMF-Schreibens vom 28.1.2019 lasse sich nicht ableiten, dass der BgA Hafen den hier streitigen Gewinnanteil für Zwecke außerhalb seines Betriebes verwendet haben könnte. Das BMF habe in Rdnr. 35 seines Schreibens ausdrücklich auf die Urteile des BFH vom 30.1.2018 Bezug genommen, nach denen anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden müsse, dass der handelsrechtliche Gewinn durch Stehenlassen dem Regiebetrieb als Eigenkapital zur Verfügung stehen soll. Diese Voraussetzungen liegen – wie oben dargestellt – im Streitfall vor. Soweit das BMF darüber hinaus als objektiven Umstand insbesondere einen förmlichen Beschluss der zuständigen Gremien der Trägerschaft fordere, welcher spätestens acht Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres des BgA gefasst sein müsse, finde sich diese zeitliche Einschränkung in der Rechtsprechung des BFH nicht.

Anmerkung:
Der von einem BgA erzielte Gewinn unterliegt nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG nicht der Kapitalertragsteuer, soweit er den Rücklagen zugeführt wird.

Gewinne eines als Eigenbetrieb geführten BgA, deren Überführung in den allgemeinen Haushalt noch nicht beschlossen wurde und die auch nicht ohne einen entsprechenden Beschluss tatsächlich der Trägerkörperschaft zur allgemeinen Verwendung geleistet wurden (vGA), führen noch nicht zu Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG, sondern gelten als den Rücklagen zugeführt (BFH, Urteil vom 16.11.2011, BStBl. II 2013 S. 328). Als Zuführung zu den Rücklagen gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung jedes Stehenlassen von Gewinnen als Eigenkapital für Zwecke des BgA unabhängig davon, ob dies in der Form der Zuführung zu den Gewinnrücklagen, als Gewinnvortrag oder unter einer anderen Position des Eigenkapitals vorgenommen wird (BMF, Schreiben vom 28.1.2019, BStBl. I 2019 S. 97, Rdnr. 34).

Über die Gewinne eines Regiebetriebs kann die Trägerkörperschaft unmittelbar verfügen. Für eine Rücklagenbildung ist damit kommunalrechtlich kein Raum. Gleichwohl ist bei einem Regiebetrieb für Zwecke des § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG die Rücklagenbildung anzuerkennen, soweit anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden kann, dass der handelsrechtliche Gewinn durch Stehenlassen dem Regiebetrieb als Eigenkapital zur Verfügung stehen soll (BMF, Schreiben vom 28.1.2019, BStBl. I 2019 S. 97, Rdnr. 35 Satz 2; BFH, Urteile vom 30.1.2018, BStBl. II 2019 S. 96 und S. 101).

Als objektiver Umstand wird insbesondere der förmliche Beschluss der zuständigen Gremien der Trägerkörperschaft anerkannt, der spätestens acht Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres des BgA gefasst sein muss (BMF, Schreiben vom 28.1.2019, BStBl. I 2019 S. 97, Rdnr. 35 Satz 3).

Nach Auffassung der OFD Karlsruhe (Arbeitshilfe – BgA als Schuldner der Kapitalerträge – § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG, Verfügung vom 11.6.2029, juris) sei ein objektiver Umstand, anhand dessen vollzogen und überprüft werden kann, ob der Gewinn durch Stehenlassen dem Regiebetrieb als Eigenkapital zur Verfügung stehe, nicht nur bei einem förmlichen Beschluss der zuständigen Gremien der Trägerkörperschaft bis spätestens 8 Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres gegeben. Derartige objektive Umstände, bei denen der Regiebetrieb eine Rücklage bilden könne, liegen danach auch in folgenden Fällen vor:

  • Ein bereits im Haushaltsplan des Vorjahres vorgesehener Mittelbedarf für den Regiebetrieb.
  • Eine schriftliche Dokumentation der bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts für den Regiebetrieb zuständigen Person (z.B. durch die Kämmerei).
  • Ein schriftlicher Nachweis über die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der KapSt-Anmeldung.

Fraglich ist jedoch, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Rücklagenbildung zulässig ist, wenn – wie im Fall des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern – der BgA nur Teil des Eigenbetriebs ist.

Ist der BgA Teil eines Eigenbetriebs, z.B. dann, wenn im Eigenbetrieb auch hoheitliche Tätigkeiten oder Tätigkeiten im Rahmen eines anderen BgA ausgeführt werden, so ist der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG dann erfüllt, wenn der Gewinn eines BgA mit hoheitlichen Verlusten oder mit Verlusten eines anderen (nicht mit dem Gewinn-BgA zusammenfassbaren) BgA verrechnet wird (zur Verrechnung mit hoheitlichen Verlusten: BMF, Schreiben vom 28.1.2019, BStBl. I 2019 S. 97, Rdnr. 36 Satz 2).

Kapitalertragsteuer kann in diesen Fällen durch Bildung einer Rücklage vermieden werden. Denn nach Auffassung der Finanzverwaltung gelten bei einem BgA, der Teil eines Eigenbetriebs ist, die für die Rücklagenbildung bei einem Regiebetrieb geltenden Grundsätze (BMF, Schreiben vom 28.1.2019, BStBl. I 2019 S. 97, Rdnr. 36 Satz 1).

Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern folgte dieser Auffassung und bejahte im Streitfall nicht nur das Vorliegen eines Regiebetriebes, sondern auch die Zulässigkeit der Rücklagenbildung. Maßgebend für diese Zulässigkeit war dabei der Beschluss der zuständigen Gemeindevertretung, dass der nicht an die Gemeinde ausgeschüttete Jahresüberschuss in der Bilanz ausdrücklich in eine (Gewinn)Rücklage eingestellt werden sollte, was dann auch tatsächlich erfolgte. Dabei spielte es für das Finanzgericht keine Rolle, dass der Beschluss der Gemeindevertretung – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung – nicht innerhalb von 8 Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahres, sondern später getroffen wurde. Dieser Auffassung des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern ist zuzustimmen, da sich aus der Rechtsprechung des BFH keine zeitliche Einschränkung für die Beschlussfassung durch die Gemeindevertretung ergibt.