Newsletter Besteuerung der öffentlichen Hand 05/2020
Von Professor Thomas Maier, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
Rechtsanwalt/Steuerberater
Nr. 05/2020
Aktuelle Urteile
EuGH-Vorlage zur Organschaft und zur unentgeltlichen Wertabgabe bei öffentlichen Einrichtungen
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 7.5.2020 - V R 40/19, Deutsches Steuerrecht 2020 S. 1367 (Vorinstanz: Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16.10.2019, Versorgungs Wirtschaft 2020 S. 151)
Sachverhalt:
Die S, eine Stiftung des öffentlichen Rechts, besteht nach ihrer Satzung aus einer Universität ohne Humanmedizin sowie einem Universitätsklinikum. Satzungsgemäßes Ziel der S ist die Unterhaltung und Förderung der Universität in deren Eigenschaft als Stiftung des öffentlichen Rechts. Dies umfasst insbesondere die Sicherung und Weiterentwicklung der Universität in ihren Funktionen der Forschung, Lehre, Krankenversorgung, Dienstleistungen im öffentlichen Gesundheitswesen, Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Technologietransfer. Der von der S unterhaltene Gebäudekomplex besteht aus dem eigentlichen Krankenhausbereich sowie aus Hörsälen, Laboren und anderen Räumen für die Ausbildung der Studierenden. Die S ist Alleingesellschafterin der U-GmbH, die neben Reinigungs-, Hygiene- sowie Wäschereileistungen auch Patiententransportdienste für die S ausführte. Zwischen der S (Organträgerin) und der U-GmbH (Organgesellschaft) besteht unstreitig ein umsatzsteuerliches Organschaftsverhältnis. In den Umsatzsteuererklärungen für die Universitätsmedizin behandelte die S sämtliche Umsätze der U-GmbH als nicht steuerbare Binnenumsätze im Rahmen einer Organschaft. Das Finanzamt stimmte der in 2007 abgegebenen Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2005 zunächst zu. Nach einer Außenprüfung war das Finanzamt der Auffassung, dass die Leistungen der U-GmbH, die nicht für den eigentlichen Krankenhausbereich, sondern für den hoheitlichen Bereich erfolgen (u.a. Reinigung der Hörsäle, der Labore und der anderen Räume, die für die Ausbildung der Studierenden genutzt werden), zwar im umsatzsteuerlichen Organkreis erbracht worden seien, die Reinigungsleistungen an den hoheitlichen Bereich jedoch eine unternehmensfremde Tätigkeit darstellen und daher eine unentgeltliche Wertabgabe gemäß § 3 Abs. 9 a Nr. 2 UStG bei der S auslösen. Das Niedersächsische Finanzgericht gab der von S erhobenen Klage statt. Nach seinem Urteil liegt eine Organschaft vor, die zur Zusammenfassung von S als Organträgerin und U-GmbH als Organgesellschaft zu einem Unternehmen führt. Diese Organschaft erstrecke sich auch auf den Hoheitsbereich der S. Die Voraussetzungen einer unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 9 a Nr. 2 UStG lägen aber nicht vor.
Vorlagefragen des BFH
1. Ist die in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG für die Mitgliedstaaten vorgesehene Ermächtigung, in ihrem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, in der Weise auszuüben,
a) dass die Behandlung als ein Steuerpflichtiger bei einer dieser Personen erfolgt, die Steuerpflichtige für alle Umsätze dieser Personen ist oder in der Weise,
b) dass die Behandlung als ein Steuerpflichtiger zwingend – und damit auch unter Inkaufnahme erheblicher Steuerausfälle – zu einer von den eng miteinander verbundenen Personen getrennten Mehrwertsteuergruppe führen muss, bei der es sich um eine eigens für Mehrwertsteuerzwecke zu schaffende fiktive Einrichtung handelt?
2. Falls zur ersten Frage die Antwort a) zutreffend ist: Folgt aus der EuGH-Rechtsprechung zu den unternehmensfremden Zwecken i.S. von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (EuGH-Urteil VNLTO, EU:C:2009:88), dass bei einem Steuerpflichtigen,
a) der zum einen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und dabei entgeltliche Leistungen i.S. von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erbringt und
b) der zum anderen zugleich eine Tätigkeit ausübt, die ihm im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt (Hoheitstätigkeit), für die er nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG nicht als Steuerpflichtiger gilt,
die Erbringung einer unentgeltlichen Dienstleistung aus dem Bereich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit für den Bereich seiner Hoheitstätigkeit keine Besteuerung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG vorzunehmen ist?
Anmerkung
Die erste Vorlagefrage betrifft das Institut der „Organschaft“ an sich. In § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ist geregelt, dass bei einem Zusammenschluss mehrerer Personen, die durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen miteinander verbunden sind, als Steuerpflichtiger (Unternehmer) nur eine dieser Personen (der Organträger) für alle Umsätze dieser Personen gilt. Die europäische Regelung (Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG – 6. EG-Richtlinie –; jetzt: Art. 11 Satz 1 MwStSystRL) könnte aber auch so verstanden werden, dass als Steuerpflichtiger (Unternehmer) nicht eine Person der Personengruppe, sondern die „Mehrwertsteuergruppe“ (der Organkreis) als eine eigens für Mehrwertsteuerzwecke zu schaffende fiktive Einrichtung anzusehen ist (Rechtsfolge dieser Auffassung: keine Steuerschuld des Organträgers bei Berufung auf die Unionsrechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG; keine Steuerschuld der Organgesellschaft, da diese auf eine Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestehen kann). Die zweite Vorlagefrage betrifft die unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 9 a Nr. 2 UStG, und zwar dahingehend, ob bei dieser Vorschrift – ebenso wie beim Vorsteuerabzug – zwischen unternehmensfremden Tätigkeiten und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten im engeren Sinne (z.B. hoheitliche Tätigkeiten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts) zu unterscheiden ist. Beim Vorsteuerabzug ist z.B. die hoheitliche Tätigkeit als nichtwirtschaftliche Tätigkeit im engeren Sinne nicht als unternehmensfremd anzusehen (EuGH, Beschluss vom 12.2.2009 - C-515/07, VNLTO, DStR 2009 S. 369), mit der Folge, dass hinsichtlich der nichtwirtschaftlichen Tätigkeit im engeren Sinne kein Vorsteuerabzug besteht (siehe auch BFH, Urteil vom 3.3.2011, BStBl. II 2012 S. 74). Der EuGH soll nun entscheiden, ob diese zum Vorsteuerabzug vertretene Auffassung auch für den Steuertatbestand des § 3 Abs. 9 a Nr. 2 UStG gilt. Würde § 3 Abs. 9 a Nr. 2 UStG nur für unternehmensfremde Tätigkeiten und nicht für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten im engeren Sinne gelten, dann läge im Streitfall bei den Leistungen der U-GmbH an den hoheitlichen Bereich der S keine steuerbare unentgeltliche Wertabgabe nach dieser Vorschrift vor (so das vorinstanzliche Niedersächsische Finanzgericht).
Anordnung der Teilnahme eines Gemeindebediensteten an einer Außenprüfung durch die Finanzbehörde
Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.1.2020 - III R 9/18, „www.bundesfinanzhof.de“ (www.bundesfinanzhof.de)
Sachverhalt:
Das Finanzamt ordnete gegenüber der Firma A die Durchführung einer steuerlichen Außenprüfung u.a. für Gewerbesteuer an und teilte mit, dass die Stadt X von ihrem Recht auf Teilnahme an der Außenprüfung durch einen Gemeindebediensteten Gebrauch mache. Die Firma A wandte sich mit ihren Rechtsbehelfen (Einspruch, Klage) gegen die Teilnahme des Gemeindebediensteten der Stadt X an der Außenprüfung. Sie ist der Auffassung, die Anordnung sei bereits formell rechtswidrig, da es an einer gesetzlichen Ermächtigung zur Anordnung der Teilnahme des Gemeindebediensteten fehle; hilfsweise sei nicht das Finanzamt zum Erlass der Teilnahmeanordnung zuständig, sondern die Gemeinde selbst. Darüber hinaus sei die Anordnung materiell rechtswidrig, weil die Gefahr einer Verletzung des Steuergeheimnisses bestehe.
Leitsätze:
1. Das Finanzamt ist berechtigt, im Rahmen der Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO i.V.m. § 21 Abs. 3 FVG der Gemeinde ihr Recht auf Teilnahme an dieser Außenprüfung einzuräumen.
2. Die Finanzbehörde muss zur Wahrung des Steuergeheimnisses im Einzelnen sorgfältig prüfen, ob die Offenbarung bestimmter Informationen der Durchführung des Verfahrens dient und verhältnismäßig ist.
3. Das Recht eines Gemeindebediensteten, die Geschäftsräume des Steuerpflichtigen zu betreten, beruht auf der verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage des § 200 Abs. 3 Satz 2 AO i.V.m.. § 21 Abs. 3 FVG.
Nach Auffassung des BFH sei die in der Prüfungsanordnung geregelte Teilnahme eine Gemeindebediensteten an der Außenprüfung rechtmäßig. Das Finanzamt sei für den Erlass eines Verwaltungsakts, der das Beteiligungsrecht der Gemeinde gegenüber dem Steuerpflichtigen (Klägerin) i.S. einer Duldungspflicht regele, formell zuständig gewesen. Gemäß § 21 Abs. 3 i.V.m.. Abs. 2 FVG seien die Gemeinden hinsichtlich der Realsteuern (Gewerbe- und Grundsteuern: § 3 Abs. 2 AO, Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG), die von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden, berechtigt, durch Gemeindebedienstete an Außenprüfungen teilzunehmen, die durch die Landesfinanzbehörden durchgeführt werden. Aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 FVG ergebe sich kein eigenes Prüfungsrecht der Gemeinden. Sie hätten nur das Recht, an einer vom Finanzamt angeordneten (§ 196 AO) Außenprüfung teilzunehmen, soweit die Realsteuern betroffen seien und der Steuerpflichtige in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhalte oder Grundbesitz habe und die Außenprüfung im Gemeindebezirk erfolgen soll (§ 21 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FVG). Sowohl die gesetzessystematische Stellung der Vorschrift im Normzusammenhang des FVG als auch die Entstehungsgeschichte sprechen nicht für einen nach außen wirkenden, gegen den Bürger gerichteten Anspruch, sondern weisen das Teilnahmerecht der Gemeinde vielmehr als eine interne Befugnis im Verhältnis der Gemeinde zur staatlichen Finanzverwaltung aus. Insoweit schließe sich der Senat der Auffassung des BVerwG in seinem Urteil in BVerwGE 97, 357 (Rz 16 ff.) an. Das Finanzamt habe das Recht, die Teilnahme einer Gemeinde im Rahmen der Anordnung der Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO zu regeln. Wenn die Gemeinde das ihr durch ein formell und materiell wirksames Gesetz eingeräumte Teilnahmerecht, welches zu ihrem verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG) gehöre, einfordern möchte, könne sie dies gegenüber der Finanzverwaltung geltend machen. Die Finanzverwaltung sei dann verpflichtet, durch eine entsprechende, dem Steuerpflichtigen bekanntzugebende Regelung der Teilnahme im Rahmen der Prüfungsanordnung oder in einer separaten Verfügung dem Beteiligungsrecht der Gemeinde im Zusammenhang mit der Ermittlung der Gewerbesteuer Geltung zu verschaffen. Die gesetzliche Grundlage für diese Regelung findee sich in einer direkten Anwendung der §§ 196, 197 AO i.V.m. § 21 Abs. 3 FVG. Einer analogen Anwendung bedarf es nicht Soweit die Firma A die Verletzung des Steuergeheimnisses durch die Teilnahmeregelung geltend mache, habe das vorinstanzliche Finanzgericht zu Recht entschieden, dass der Schutz des Steuergeheimnisses im vorliegenden Fall einer Teilnahmebefugnis der Gemeinde nicht entgegenstehe. Soweit die einschlägigen Normen die Beteiligungsrechte der Gemeinde regeln, seien die darin vorgesehenen Schutzmechanismen ausreichend, um auch die Geheimhaltungsinteressen des Steuerpflichtigen zu schützen, soweit sich die Beteiligten (Steuerpflichtiger und Gemeinde) – wie hier – nicht als Konkurrenten gegenüberstehen. Darüber hinaus müsse das Finanzamt selbst dafür Sorge tragen, dass der Gemeinde nur solche Informationen der Gemeinde mitgeteilt werden, die in Bezug auf die für den Gewerbeertrag i.S.d. § 7 GewStG bedeutsamen Tatsachen Bedeutung haben. Nur wenn die „Realsteuer-Relevanz" gegeben sei, stehe das Steuergeheimnis einer Offenbarung nicht entgegen. Die Wahrung des Steuergeheimnisses sei sicherzustellen und als Schranke zu beachten. Der Finanzbehörde obliege daher während der Außenprüfung eine sorgfältige Prüfung im Einzelnen, ob die Offenbarung bestimmter Informationen der Durchführung des Verfahrens „dient" (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Entgegen der Ansicht der Firma A gründe das Recht des Gemeindebediensteten, Geschäftsräume der Firma A zu betreten, auf einer gesetzlichen Grundlage. § 200 Abs. 3 Satz 2 AO i.V.m. § 21 Abs. 3 FVG stelle eine genügende gesetzliche Grundlage für das Betretungsrecht dar. Denn § 200 Abs. 3 Satz 2 AO berechtige die Prüfer ausdrücklich, Grundstücke und Betriebsräume zu betreten und zu besichtigen.Anmerkung:
Immer mehr Kommunen – insbesondere Großstädte – nutzen die ihnen durch § 21 Abs. 3 FVG gewährte Möglichkeit der Teilnahme von Gemeindebediensteten an Außenprüfungen des Finanzamts bei Firmen, deren Gewerbesteuergläubigerinnen sie sind. Durch die Teilnahme von Gemeindebediensteten an Außenprüfungen können die Kommunen das Gewerbesteueraufkommen durch Vertreten der eigenen Rechts- und Tatsachenauffassung deutlich erhöhen (siehe Aufsatz von Westermann/Beuschel, Teilnahmeberechtigung von Bediensteten an Außenprüfungen der Landesfinanzbehörden auf Grundlage von § 21 Abs. 3 FVG, Zeitschrift für Kommunalfinanzen 2014 S. 217). Das Teilnahmerecht der Kommunen nach § 21 Abs. 3 FVG birgt keine Probleme für den Regelfall, bei dem sich das Rechtsverhältnis zwischen Kommune und Steuerpflichtigem (Gewerbebetrieb) nur auf Rechtsbeziehungen zwischen Steuergläubiger (Kommune) und Steuerschuldner (Gewerbebetrieb) beschränkt. Es gibt jedoch Fälle, bei denen die an der Außenprüfung teilnehmende Kommune nicht nur Gewerbesteuergläubigerin ist, sondern die Kommune bzw. ihre Tochtergesellschaften mit ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten Konkurrent des Steuerpflichtigen ist, Kommune und Steuerpflichtiger (Gewerbebetrieb) sich somit als Wettbewerber gegenüberstehen. Für diesen Fall hat der BFH in seinem Beschluss vom 4.5.2017 zu Recht entschieden, das Beteiligungsrecht der Kommunen so einzugrenzen, dass keine Kenntnisse des Finanzamts offenbart werden, die für eine wirtschaftliche Tätigkeit der Kommune von Bedeutung sein können. In dem oben dargestellten Urteilsfall des BFH bestand jedoch kein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Firma A und der Stadt X. Dem Urteil ist deshalb zuzustimmen.
Unternehmereigenschaft und Vorsteuerabzug bei Verpachtung eines Schwimmbades gegen ein symbolisches Entgelt
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16.10.2019, Versorgungs Wirtschaft 2020 S. 149 (Revision anhängig; Az. des BFH: XI R 35/19)
Sachverhalt:
Mit Vertrag vom 20.4.2005 verpachtete die Gemeinde G ihr Schwimmbad mit Rückwirkung zum 15.3.2005 an den Förderer- und Betreiberverein …e.V. (V). Nach § 3 des Vertrages betrug der Pachtzins jährlich 1 Euro. In § 4 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages verpflichtete sich die G zur Zahlung eines Zuschusses an den V i.H.v. jährlich 75.000 Euro. In § 4 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages war hierzu weiter bestimmt, der Zuschuss diene der Förderung des Vereins im öffentlichen Interesse und stelle keinen Gegenwert für eine umsatzsteuerbare Leistung dar. Mit Datum vom 15.9.2015 und mit Wirkung ab 1.10.2015 ersetzten die Vertragspartner den bisherigen Pachtvertrag durch einen neuen Pachtvertrag. Danach beträgt der Pachtzins nunmehr 10.000 € zzgl. 1.900 € Umsatzsteuer. Für das letzte Quartal 2015 ist ein Pachtzins i.H.v. 2.973,81 € (brutto) zu zahlen. Über den Zuschuss wurde am 15.9.2015 nunmehr eine gesonderte Zuschussvereinbarung geschlossen. Danach verpflichtet sich die Gemeinde zur Zahlung eines Zuschusses an den Verein in Höhe von jährlich 90.000 €. Das Finanzamt ging davon aus, dass die G mit Verpachtungsbeginn mit ihrem Schwimmbad keinen Betrieb gewerblicher Art (BgA) mehr unterhielt. Für 2006 und 2007 gab weder die G Umsatzsteuererklärungen ab, noch setzte das Finanzamt Umsatzsteuer fest. Auch für die Jahre ab 2008 wurden über lange Zeit hinweg keine Umsatzsteuererklärungen eingereicht und keine Umsatzsteuern festgesetzt. Da die G im Jahr 2015 erwog, das Schwimmbad zu sanieren, führten Vertreter der G am 29.5.2015 ein Gespräch mit Vertretern des Finanzamts über die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs aus in diesem Zusammenhang zu erwartenden Rechnungen. Das Finanzamt vertrat in dieser Besprechung die Auffassung, dass die Verpachtung wegen der Höhe von Pachtentgelt und Zuschuss im Ergebnis unentgeltlich erfolge, so dass die G mit der Verpachtung keinen BgA begründet habe und deshalb keine Vorsteuern aus ihren Aufwendungen ziehen könne. Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer 2015 (Streitjahr) mit Bescheid vom 18.11.2016 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung abweichend von der Steuererklärung auf ./. 2.458,39 € fest. Dabei rechnete es alle Besteuerungsgrundlagen aus der Umsatzsteuererklärung heraus, die sich auf das Schwimmbad bezogen. Das Finanzamt vertritt die Auffassung, dass die G keine Vorsteuern aus Rechnungen im Zusammenhang mit dem verpachteten Schwimmbad in Ermangelung eines BgA abziehen könne. Es bestehe eine erhebliche Asymmetrie zwischen den Pachteinnahmen und den Kosten, aus denen die G Vorsteuern geltend mache. Eine solche Asymmetrie führe dazu, die Tätigkeit als eine hoheitliche anzusehen und nicht als eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG.
Leitsätze:
1. Bei einem offensichtlich lediglich symbolischen jährlichen Pachtentgelt i.H.v. 1 € und bei erheblichen Aufwendungen des Verpächters auf den Pachtgegenstand ist die Nutzungsüberlassung als unentgeltlich anzusehen.
2. Ist gleichzeitig mit dem Abschluss des Pachtvertrages in einem gesonderten Vertrag ein Zuschuss an den Pächter vereinbart worden, ist von einer unentgeltlichen und damit nichtunternehmerischen Nutzungsüberlassung auszugehen.
Nach Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts könne die G keine Vorsteuern im Zusammenhang mit dem Schwimmbad abziehen, da sie insoweit kein BgA unterhalte und somit mit der Nutzungsüberlassung des Schwimmbades keine unternehmerische Tätigkeit entfalte. Nach der Rechtsprechung des BFH sind juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung nur im Rahmen ihrer BgA und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe unternehmerisch und damit wirtschaftlich tätig. Dabei sei § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 KStG unter Berücksichtigung von Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL richtlinienkonform auszulegen. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH sowie der entsprechenden Rechtsprechung des EuGH liege jedoch nur dann eine wirtschaftliche Tätigkeit vor, wenn die jPdöR eine entgeltliche Dienstleistung i.S.v. Art. 2 Abs. 1c) MwStSystRL erbracht habe. Gegen Entgelt erbracht sei die Dienstleistung, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehe, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bilde. Zwar sei für die Frage der Entgeltlichkeit eines Umsatzes unerheblich, ob die wirtschaftliche Tätigkeit zu einem Preis unter oder über dem Selbstkostenpreis ausgeführt werde, weil es lediglich auf das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und der Gegenleistung ankommt (BFH, Urteil vom 28.6. 2017 XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400). Keine entgeltliche Leistung gegen Entgelt liege jedoch vor, wenn sich bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände erweise, dass der für eine wirtschaftliche Tätigkeit der jPdöR erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen Nutzungsüberlassung und Entgelt gelöst sei. Hierfür könne insbesondere sprechen, dass eine Asymmetrie zwischen den Pachteinnahmen und den Kosten, für die die Gemeinde den Vorsteuerabzug geltend mache, bestehe (BFH, Urteil vom 15.12.2016 - V R 44/15, BFH/NV 2017, 707, und EuGH, Urteil vom 12.5.2016 - C-520/14 „Gemeente Borsele“, UR 2016, 520). Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf den Streitfall gelte für die Zeiträume bis zum 30.9.2015 einerseits und ab 1.10.2015 andererseits folgendes:
1. Zeitraum 1.1.2015 – 30.9.2015 (Pachtentgelt 1 €): Die G habe mit der Verpachtung des Schwimmbades in diesem Zeitraum bei Gesamtwürdigung aller Umstände keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet und insbesondere keine Leistung gegen Entgelt erbracht. Bei einem – offensichtlich lediglich symbolischen – jährlichen Pachtentgelt i.H.v. 1 Euro und bei erheblichen Aufwendungen auf den Pachtgegenstand, die im Gesamtjahr zu Vorsteuern .i.H.v. 32.754,04 € geführt haben, trete die Entgeltverpflichtung so sehr in den Hintergrund, dass der Zusammenhang zwischen Nutzungsüberlassung und Entgelt gelöst erscheint. Das Entgelt habe insoweit offensichtlich nicht die Funktion, den Wert einer von der Gemeinde erbrachten Dienstleistung abzubilden, sondern soll ersichtlich nur dem Zweck dienen, einen umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch zu fingieren, um der G den Weg zum Vorsteuerabzug zu eröffnen.
2. Zeitraum 1.10.2015 – 31.12.2015 (Pachtentgelt 10.000 €): Für den Zeitraum ab 1.10.2015 belaufe sich die vereinbarte Jahrespacht nunmehr auf 10.000 € und könne damit zweifelsfrei nicht mehr als bloß „symbolisch“ beurteilt werden. Allerdings müssen hier die Umstände der Vertragsänderung in die Betrachtung einbezogen werden, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung den Schluss zulassen, dass sich objektiv an den Verhältnissen nichts geändert habe. So sei gleichzeitig mit der Vereinbarung einer Jahrespacht in Höhe von netto 10.000 € der dem Verein gewährte Zuschuss um 15.000 € erhöht worden. Auch wenn über die Zuschussgewährung nunmehr eine formal gesonderte Vereinbarung getroffen worden sei, sei die Vertragsunterzeichnung am selben Tage erfolgt, nämlich am 15.9.2015, d.h. die Vertragspartner haben beide Verträge parallel zueinander ausgehandelt. Dies mache deutlich, dass beide Vereinbarungen aufeinander bezogen seien und nicht isoliert betrachtet werden können. Hinzu komme, dass der G kurz zuvor die umsatzsteuerrechtlichen Probleme der bisherigen Vertragsgestaltung offenbar geworden seien. Daraus lasse sich erkennen, dass mit den geänderten Verträgen nicht etwa beabsichtigt worden sei, nunmehr den Wert der von der G erbrachten Dienstleistung durch das Pachtentgelt abzubilden, sondern nur formal die zu erbringenden Geldzahlungen anderweitig auf Pacht und Zuschuss zu verteilen, ohne dass sich in der Sache etwas gegenüber den früheren Zeiträumen ändere.
Dass die Zuschusszahlung in die Betrachtung einzubeziehen sei, ergebe sich im Übrigen auch aus dem BFH-Urteil vom 15.12.2016 (V R 44/15, BFH/NV 2017, 707). Danach sei im konkreten Fall eine Saldierung zwischen Pacht und Verlustausgleich vorzunehmen. Die Annahme einer Unternehmereigenschaft soll danach scheitern, wenn die Saldierung ergebe, dass der Nutzungsüberlassung kein Entgelt gegenüberstehe, so dass von einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung auszugehen sei. Wende man dies auf den Streitfall an, so sei auch hier von einer unentgeltlichen und damit nichtunternehmerischen Nutzungsüberlassung auszugehen, weil der dem Verein gewährte Betriebskostenzuschuss das Pachtentgelt bei weitem übersteige.Anmerkung:
Das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 16.10.2019 behandelt den in der Praxis häufig vorkommende Fall, dass bei der Verpachtung einer (.i.d.R dauerdefizitären) Einrichtung (insbesondere Schwimmbäder und Mensabetriebe) durch eine jPdöR die Pachtzahlungen des Pächters (privater Unternehmer oder Verein) niedriger sind als ein von der jPdöR vertraglich vereinbarter Zuschuss an den Pächter. Im Streitfall kommt noch hinzu, dass für einen Teil des Streitjahres ein offensichtlich symbolisches Pachtentgelt (1 €) zwischen den Vertragspartnern vereinbart wurde. Fraglich ist, ob in derartigen Fällen eine unternehmerische Tätigkeit der jPdöR gegeben ist. Zu dieser Frage enthalten insbesondere die auch vom Niedersächsischen Finanzgericht zitierten Urteile des EuGH (Urteil vom 12.5.2016 - C-520/14 „Gemeente Borsele“, UR 2016, 520) und des BFH (Urteil vom 28.6. 2017 - XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400) wichtige Hinweise. Danach ist Unternehmereigenschaft der jPdöR gegeben, wenn eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art 9 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 MwStSystRL (im nationalen Recht: nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG) ausgeübt werde. In diesen Urteilen wird klargestellt, dass das Vorliegen einer gegen Entgelt erbrachten Dienstleistung i.S.d. Art. 2 Abs. 1c MwStSystRL (im nationalen Recht: sonstige Leistungen gegen Entgelt iS § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) für die Feststellung einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht ausreiche. Andererseits reiche allein die Tatsache eines geringen Kostendeckungsgrades nicht aus, eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL abzulehnen. Maßgeblich sei allein das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und der Gegenleistung, die der Steuerpflichtige tatsächlich erhalten habe. Dabei seien alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt sei. Wendet man diese Grundsätze des EuGH und des BFH auf den Streitfall an, muss man zunächst – so wie es das Niedersächsische Finanzgericht auch getan hat – zwei Zeiträume des Streitjahres unterscheiden:
- Zeitraum 1.1.2015 – 30.9.2015 (Pachtentgelt: 1 €): Insoweit halte ich die Begründung des Finanzgerichts für die Nichtannahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit für richtig. Es handelt sich bei dem Pachtentgelt i.H.v. 1 € um einen rein symbolischen Betrag. Es fehlt m.E. der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Nutzungsüberlassung und dem Entgelt. Dabei weist das Finanzgericht zu Recht darauf hin, dass der seinem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt nicht mit dem Sachverhalt des BFH-Urteils vom 28.6.2017 (XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400) zu vergleichen sei, denn im Sachverhalt des BFH entsprachen das Entgelt für die Nutzungsüberlassung der Sporthalle (1,50 € je Stunde für ¼ Hallenteil) dem allgemein Üblichen.
- Zeitraum 1.10.2015 – 31.12.2015 (Pachtentgelt: 10.000 €): Das Pachtentgelt hat in diesem Zeitraum keinen „symbolischen“ Charakter mehr. Trotzdem lehnt das Niedersächsische Finanzgericht auch insoweit eine unternehmerische Tätigkeit der Gemeinde ab, weil das Pachtentgelt i.H.v. 10.000 € mit dem gewährten Zuschuss .i.H.v 90.000 € zu saldieren sei. Diesbezüglich verweist das Finanzgericht auf das Urteil des 5. BFH-Senats vom 15.12.2016 (V R 44/15, BFH/NV 2017, 707).
Zu beachten ist jedoch in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des – jetzt im Streitfall für die Revision zuständigen – 11. BFH-Senats. In seinem Beschluss vom 18.7.2017 (XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60) wies der 11. Senat die Nichtzulassungsbeschwerde des Finanzamts gegen das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 21.12.2016 (14 K 2029/13, Juris) als unbegründet zurück. In diesem Urteil bejahte das FG Baden-Württemberg die Unternehmereigenschaft einer Gemeinde bei der Verpachtung eines Schwimmbades und einer Mensa durch die Gemeinde, obwohl die Pachtentgelte geringer waren als die von der Gemeinde gewährten Zuschüsse. Schon in seinem Beschluss vom 19.3.2014 (XI B 126/13, Juris) entschied der 11. Senat zur Überlassung eines Schwimmbades durch eine Gemeinde, dass die jPdöR – unabhängig davon, dass der Zuschuss der jPdöR höher war als die vereinbarte Pacht – unternehmerisch tätig sei, weil sie auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag gehandelt habe. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sowohl das Sächsische Finanzgericht (Urteil vom 10.1.2017, EFG 2017, 1368) als auch das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13.7.2017, EFG 2018, 56) im Hinblick auf die Körperschaftsteuer die BgA-Eigenschaft bei der verpachtenden Gemeinde bejaht hat, obwohl das Pachtentgelt in beiden Fällen niedriger war als der von der Gemeinde gezahlte Zuschuss. In beiden Fällen ist eine Revision beim BFH anhängig (Az.: I R 9/17 und I R 58/17).
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