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Newsletter Besteuerung der öffentlichen Hand 04/2018

Von Professor Thomas Maier, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl

Rechtsanwalt/Steuerberater

Nr. 04/2018 (Mai 2018)

Aktuelles Urteil

Bildung einer Rücklage i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG bei bilanzierenden Regiebetrieben

Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.1.2018 – VIII R 42/15, (www.bundesfinanzministerium.de)

Sachverhalt:

Die Stadt S ist mit ihrem als unselbständigen Regiebetrieb geführten und i.S.d. § 4 Abs. 1 EStG freiwillig bilanzierenden BgA „Schwimmbäder“ nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 Abs. 1 und Abs. 4 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Dieser BgA verpachtete ab 2002 und auch in den Streitjahren (2005, 2006) die städtischen Schwimmbäder an die Stadtwerke GmbH, an der die S zu 100 % beteiligt ist. Die GmbH-Beteiligung hat die S zulässigerweise dem gewillkürten Betriebsvermögen des (Verpachtungs-)BgA „Schwimmbäder“ zugeordnet.

Mit der Verpachtung der Schwimmbäder an die GmbH erzielte die S in den Streitjahren jeweils Verluste. Wegen der in das Betriebsergebnis des BgA einfließenden Dividenden ergab sich in den Streitjahren jedoch insgesamt ein positives Ergebnis.

Die in den Streitjahren erzielten handelsrechtlichen Überschüsse wurden im jeweiligen Folgejahr in der Bilanz als Gewinnvortrag ausgewiesen. Grundlage dafür war eine schriftliche Festlegung des Magistrats der S vom ... 2005, nach der sowohl die Jahresgewinne 2001 bis 2004 als auch etwaige künftige Gewinne ab 2005 durch „Stehenlassen" in der Bilanz vorgetragen werden sollten, um Mittel zur Modernisierung und Sanierung der Bäder anzusammeln. Dies wurde in den Vollständigkeitserklärungen des Magistrats vom ... 2006 und ... 2007 für die Jahresabschlüsse 2005 und 2006 bestätigt.

Da der BgA kein eigenes Bankkonto hatte, wurden die Dividenden aus der Beteiligung an der Stadtwerke GmbH sowie andere Geldbewegungen zwischen dem BgA und der S auf einem verzinsten Verrechnungskonto erfasst. Dieses schloss zum 31.12.2005 mit einem Forderungssaldo des BgA gegen die S i.H.v. … € und zum 31.12.2006 mit einem Forderungssaldo i.H.v. … € ab. In der kameralistischen Buchführung der S waren hierfür keine entsprechenden Verbindlichkeiten ausgewiesen. Im Haushaltsplan der S bestand lediglich eine „Allgemeine Rücklage“. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die vom BgA in den Streitjahren erzielten handelsrechtlichen Jahresüberschüsse nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG als an die S ausgeschüttet gelten, mit der Folge, dass nach §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 c, 43 a Abs. 1 Nr. 6 EStG von der S eine 10 %-ige Kapitalertragsteuer anzumelden und abzuführen sei. Der Ausnahmetatbestand einer „Zuführung zu den Rücklagen“ i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG liege nicht vor. Insbesondere fehle ein zeitnaher Nachweis der Investitionsabsicht. Die „pauschale zukünftige Verwendungsfiktion" in der Festlegung des Magistrats der Klägerin vom ... 2005 für die Gewinne ab 2005 genüge hierfür nicht. Das Finanzamt erließ deshalb für die Streitjahre Nachforderungsbescheide über Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag.

Nach Auffassung der S lasse § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG auch für Regiebetriebe ausdrücklich die Bildung von Rücklagen zu, um eine Gleichbehandlung von Regie- und Eigenbetrieben mit Eigengesellschaften zu erreichen. Damit könne es bei Regiebetrieben für den steuerrechtlichen Begriff der Rücklagen nicht darauf ankommen, ob eine solche Rücklage haushaltsrechtlich zulässig sei. Vielmehr reiche eine zweckgerichtete Ansparung von Mitteln, die zur nachhaltigen Zweckerfüllung des BgA notwendig sei. Solange die Investitionsabsicht nachgewiesen werde, müsse die Rücklage auch nicht in der Bilanz als solche bezeichnet werden, sondern es genüge ein Ausweis als Gewinnvortrag oder Eigenkapital. Im Übrigen ergebe sich die Investitionsabsicht aus dem im Jahr 2005 erfolgten Magistratsbeschluss.

Leitsätze:

1. Die Bildung einer Rücklage i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG ist auch im Fall des Regiebetriebs einer kommunalen Gebietskörperschaft zulässig.

2. Mangels gesetzlicher Beschränkungen reicht für deren steuerliche Anerkennung jedes „Stehenlassen“ der handelsrechtlichen Gewinne als Eigenkapital aus, sofern anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden kann, dass dem Regiebetrieb entsprechende Mittel weiterhin als Eigenkapital zur Verfügung stehen sollen.

Nach Auffassung des BFH sind die vom Finanzamt erlassenen Nachforderungsbescheide über Kapitalertragsteuer für die Streitjahre zu Unrecht ergangen.

Zunächst stellte der BFH klar, dass § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG grundsätzlich anwendbar sei. Der in Form eines Regiebetriebs geführte BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit sei nicht von der Körperschaftsteuer befreit und ermittele den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich.

Die durch das Finanzamt erfolgte Ablehnung der Einstellung der Gewinne in die Rücklagen iSd § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG sei dagegen rechtsfehlerhaft gewesen. Der BgA habe seine Gewinne den Rücklagen zugeführt, sodass in den Streitjahren keine kapitalertragsteuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen angefallen seien. Die Bildung einer Rücklage i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG sei auch bei einem als Regiebetrieb geführten BgA möglich. Der BFH folgte dabei nicht der Auslegung der Finanzverwaltung (BMF, Schreiben vom 9.2.1015, BStBl I 2015 S. 111, Rdn. 35), wonach die Rücklagenbildung bei Regiebetrieben nur unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen zuzulassen sei. Für diese zusätzlichen Voraussetzungen fehle eine gesetzliche Grundlage.

Nach Auffassung des BFH setze die Zuführung zu den Rücklagen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG weder den formalen Ausweis als handelsbilanzielle Rücklage i.S.d. § 272 HGB noch eine haushaltsrechtlich bindende Mittelreservierung auf Ebene der Trägerkörperschaft voraus. Für Eigenbetriebe habe der BFH (Urteil vom 16.11.2011, BStBl II 2013 S. 328, Rdn. 15 und 22) insoweit entschieden, dass dessen Gewinne schon dann als den Rücklagen zugeführt gelten, wenn sie nicht durch einen Ausschüttungsbeschluss oder durch eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) an die Trägerkörperschaft für Zwecke außerhalb des Betriebs gewerblicher Art überführt worden seien. Damit habe der BFH für Eigenbetriebe bestätigt, dass grundsätzlich jedes „Stehenlassen" der handelsrechtlichen Gewinne als Eigenkapital für Zwecke des Betriebs gewerblicher Art ausreiche, unabhängig davon, ob dies in der Form der Zuführung zu den Gewinnrücklagen, als Gewinnvortrag oder unter einer anderen Position des Eigenkapitals geschehe.

Von dieser Rechtsprechung sei grundsätzlich auch im Fall eines Regiebetriebs auszugehen, da Eigen- und Regiebetriebe mangels einer entsprechenden Differenzierung in § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG so weit wie möglich gleich zu behandeln seien. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass bei einem Regiebetrieb - im Gegensatz zu einem Eigenbetrieb - kein Ausschüttungsbeschluss erforderlich sei, um der Trägerkörperschaft die Verfügung über die Gewinne des BgA zu ermöglichen. Deshalb müsse anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden können, dass dem Regiebetrieb die entsprechenden Mittel weiterhin als Eigenkapital zur Verfügung stehen. Angesichts der auf Fiktionen basierenden Besteuerungsmerkmale seien hieran aber keine strengen Anforderungen zu stellen. So reiche es im Fall einer kommunalen Gebietskörperschaft grundsätzlich aus, dass die Bildung der Rücklagen auf Beschlüssen der zuständigen Gremien der Trägerkörperschaft beruhe, auch wenn diese Beschlüsse haushaltsrechtlich nicht bindend seien und sich nicht in einer kameralistischen Buchführung der Trägerkörperschaft niederschlagen können.

Im Streitfall sei von einer Zuführung des Gewinns zu den Rücklagen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG auszugehen. Die handelsrechtlichen Jahresüberschüsse seien auf Basis der im Jahre 2005 erfolgten schriftlichen Festlegung des Magistrats in die Gewinnvorträge eingestellt worden. Zwar habe der Magistrat sich nach haushaltsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem Jährlichkeitsprinzip, noch nicht für die Verwendung der künftigen Gewinne der Streitzeiträume 2005 und 2006 festlegen dürfen. Auf eine solche haushaltsrechtliche Bindung komme es aber nicht an. Außerdem habe der Magistrat die Einstellung in die Gewinnvorträge in den Vollständigkeitserklärungen vom ... 2006 und vom ... 2007 bestätigt. Damit könne im Streitfall ausreichend konkret nachvollzogen werden, dass die Gewinne des BgA nicht an die Trägerkörperschaft überführt, sondern weiterhin für Zwecke des BgA genutzt werden sollten.

Anmerkung:

In einem ebenfalls am 30.1.2018 erlassenen Urteil (VIII R 15/16) hat der BFH entschieden, dass die im oben dargestellten Urteil (VIII R 42/15) für Regiebetriebe kommunaler Gebietskörperschaften entwickelten Grundätze zur Bildung von Rücklagen auch bei Regiebetrieben einer Verbandskörperschaft (im Streitfall VIII R 15/16 ein Berufsverband) Anwendung finden.

Grundsätzlich wird von der Finanzverwaltung die Rücklagenbildung bei einem Regiebetrieb anerkannt, soweit die Zwecke des BgA ohne Rücklagenbildung nachhaltig nicht erfüllt werden können. Das Bestreben, ganz allgemein die Leistungsfähigkeit des BgA zu erhalten, reiche für eine anzuerkennende Rücklagenbildung nicht aus. Eine Rücklagenbildung sei in folgenden Fällen anzuerkennen (BMF, Schreiben vom 9.1.2015, BStBl I 2015 S. 111, Rdn. 35):

  • Die Mittel werden für bestimmte Vorhaben – z.B. Anschaffung von Anlagevermögen – angesammelt, für deren Durchführung bereits konkrete Zeitvorstellungen
  • Bestehe noch keine konkrete Zeitvorstellung, sei eine Rücklagenbildung zulässig, wenn die Durchführung des Vorhabens glaubhaft und finanziell in einem angemessenen Zeitraum möglich sei.
  • Eine zulässige Mittelreservierung liege auch vor, soweit die verwendeten Mittel, die auf Grund eines gewinnrealisierenden Vorgangs dem BgA zugeführt worden seien, bereits im laufenden Wirtschaftsjahr z.B. reinvestiert oder zur Tilgung von betrieblichen Verbindlichkeiten verwendet worden seien.
  •  Von einer zulässigen Mittelreservierung sei ferner auszugehen, wenn dem BgA aus einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft Dividenden zufließen, die dieser im Zuge einer gleichzeitig stattfindenden Kapitalerhöhung wieder in diese Kapitalgesellschaft einlege.

Der BFH folgt ausdrücklich nicht dieser Auslegung der Finanzverwaltung, wonach die Rücklagenbildung nur unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen zuzulassen sei. Für die steuerrechtliche Anerkennung reiche vielmehr jedes „Stehenlassen“ der handelsrechtlichen Gewinne als Eigenkapital aus, sofern anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden kann, dass dem Regiebetrieb die entsprechenden Mittel weiterhin als Eigenkapital zur Verfügung stehen.

Das oben dargestellte Urteil des BFH vom 30.1.2018 erging zu einem bilanzierenden Regiebetrieb, der die Gewinne in seiner Bilanz als Gewinnvortrag „stehen“ ließ. Fraglich ist, ob bei nicht bilanzierenden und grundsätzlich kapitalertragsteuerpflichtigen Regiebetrieben (Gewinne mehr als 30.000 € und/oder Umsätze von mehr als 350.000 €, vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 1 EStG) für eine Rücklagenbildung nach wie vor die (strengeren) Voraussetzungen der Finanzverwaltung (s.o.) gelten. Nach den Ausführungen des BFH in den beiden am 30.1.2018 ergangenen Urteilen (VIII R 42/15 und VIII R 15/16) sind für eine Rücklagenbildung „keine strengen Anforderungen zu stellen“. Geht man hiervon aus, dürfte eine Rücklagenbildung auch bei nicht bilanzierenden Regiebetrieben schon dann möglich sein, wenn z.B. entsprechende Investitionsbeschlüsse durch die zuständigen Gremien der Trägerkörperschaft (z.B. Stadt- und Gemeinderäte) getroffen werden.