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Newsletter Besteuerung der öffentlichen Hand 01/2019

Von Professor Thomas Maier, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl

Rechtsanwalt/Steuerberater

Nr. 01/2019 (Januar 2019)

Aktuelle Urteile

Unternehmereigenschaft und Vorsteuerabzug beim Betrieb von Kureinrichtungen gegen eine Kurtaxe

Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18.10.2018 – 1 K 1458/18

Sachverhalt:

Die Gemeinde G ist ein staatlich anerkannter heilklimatischer Luftkurort. Die Kurverwaltung der G wird seit 1997 kommunalrechtlich als Eigenbetrieb und körperschaftsteuerlich als Betrieb gewerblicher Art (BgA) behandelt.

Die G betreibt u.a. einen Kurpark, ein Kurhaus und sonstige Anlagen und Wege. Diese Einrichtungen waren in den Streitjahren (2009 bis 2012) für jedermann frei zugänglich. Die G erhebt eine Kurtaxe auf der Grundlage von § 4 GemO BW i.V.m. §§ 2, 8 Abs. 2, 42 KAG BW. Sie erklärte in ihren Umsatzsteuererklärungen umsatzsteuerpflichtige Umsätze (Kurtaxe) und Vorsteuerbeträge aus Eingangsleistungen im Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr. Das Finanzamt kürzte die Vorsteuerbeträge mit der Begründung, die G sei als Unternehmerin nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt. Zum BgA mit der Möglichkeit des Vorsteuerabzugs würde z.B. der Kurpark und das Kneipptretbecken gehören. Ein Vorsteuerabzug sei aber u.a. nicht zulässig aus Rechnungen in Zusammenhang mit Loipen, Wander- und sonstigen Sportpfaden und -anlagen außerhalb des Kurparks, Gärtnerei, Bauhof, Hundekotbeutel, Hundestationen, Abfallbehälter und Eventtagen. Für das Kurhaus könne nur ein anteiliger Vorsteuerabzug gewährt werden, soweit eine umsatzsteuerpflichtige Vermietung der Gaststätte oder eine sonstige steuerpflichtige Endnutzung von Räumen gegen Entgelt vorliege.

Die G wandte sich gegen die vom Finanzamt erfolgten Vorsteuerkürzungen. Nach ihrer Auffassung begründe die Erhebung der Kurtaxe einen BgA und somit auch die Unternehmereigenschaft der G. Der Schuldner der Kurtaxe entrichte diese u.a. für die Nutzung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen und die Möglichkeit, die im Bereich des Tourismus und Kur dargebotenen Veranstaltungen besuchen zu können. Die Kurtaxe diene somit zur Herstellung und zum Unterhalt der für einen Luftkurort erforderlichen Wege, Anlagen und Attraktionen. Die Tatsache, dass die Einrichtungen neben den zahlenden Kurgästen und Touristen auch von den übrigen Einwohnern genutzt werden könnten, ändere daran nichts, denn dies sei keine nichtunternehmerische Verwendung.

Leitsatz:

Bei richtlinienkonformer Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 KStG entsprechend Art. 13 MwStSystRL stellt der Betrieb von Kureinrichtungen gegen eine Kurtaxe keine unternehmerische Tätigkeit dar.

Nach Auffassung des Finanzgerichts Baden-Württemberg handele die G durch ihre Betätigung zur Erhebung einer Kurtaxe nicht unternehmerisch, weshalb ihr insoweit auch kein Vorsteuerabzug zustehe.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sei § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 KStG richtlinienkonform entsprechend Art. 13 MwStSystRL auszulegen. Danach sei eine juristische Person des öffentlichen Rechts (jPdöR) Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche und damit nachhaltige Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeit) ausübe, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebe. Handele sie dabei auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag, komme es auf weitere Voraussetzungen nicht an. Handele sie dagegen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, sei sie nur Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Dies sei nicht gegeben, wenn es aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen im Zeitpunkt der Erbringung der Leistungen durch den Staat ausgeschlossen sei, dass private Anbieter Leistungen auf den Markt bringen, die mit den staatlichen Leistungen im Wettbewerb stehen.

Unter Anwendung dieser Grundsätze habe die G im Streitfall – abgesehen von der teilweisen privatrechtlichen, entgeltlichen Überlassung des Kurhauses für Veranstaltungs- und Restaurationszwecke – auf öffentlich-rechtlicher Grundlage gehandelt. Sie habe gegenüber den Kurgästen insoweit keine Leistungen als Unternehmerin erbracht, denn eine Behandlung der G als Nichtsteuerpflichtige führe nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen.

Die Leistungen der G in ihrer Gesamtheit können nicht von privaten Anbietern erbracht werden, da private Anbieter nicht in der Lage seien, das gleiche Bedürfnis der Kurgäste zu befriedigen. Kurgäste eines anerkannten heilklimatischen Luftkurortes erwarten neben einer angemessenen Unterbringung und Verpflegung die Zurverfügungstellung von öffentlichen Gütern wie förderliche heilklimatische Bedingungen (saubere Luft und Wasser), Infrastruktur (Wanderwege), Einzelhandel und kulturelle Angebote (Veranstaltungen). Auch wenn private Anbieter zum Teil in der Lage seien, einige dieser Bedürfnisse zu bedienen, sei es ihnen dennoch unmöglich, in einer Gesamtheit – aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers – Leistungen zu erbringen, die denen der G gleichartig seien. Zudem sei aufgrund der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Benutzung der kommunalen Einrichtungen ein Wettbewerb mit privaten Anbietern ausgeschlossen, da die Möglichkeit für private Anbieter, Einrichtungen unter denselben Bedingungen zur Nutzung anzubieten, rein theoretisch sei. Selbst wenn private Anbieter (zumindest teilweise) vergleichbare Einrichtungen – wie die G – zu Kur- und Erholungszwecken anbieten können sollten, könnten sie hierfür keine Kurbeiträge fordern, da derartige Abgaben ausschließlich von Trägern der öffentlichen Gewalt beschlossen und erhoben werden dürfen. Jedenfalls die rechtlichen Rahmenbedingungen von Kurleistungen führen daher aus Sicht eines Verbrauchers zu einer Unterscheidbarkeit, so dass eine größere Wettbewerbsverzerrung nicht vorliege.

Auch aus dem Umstand, dass eine jPdöR auf der Grundlage von § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG gegenüber dem Finanzamt einmalig erklären habe können, dass sie § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwende, könnten keine abweichenden Schlüsse gezogen werden. Die Ausübung der Option durch die G bedeute nicht, dass im Rahmen des auch weiterhin (zeitlich befristet) anwendbaren § 2 Abs. 3 UStG eine richtlinienkonforme Auslegung unterbleiben könne, so dass es ausschließlich auf das Vorhandensein eines BgA ankomme. Es könne nämlich nur insoweit wirksam optiert werden, als § 2 Abs. 3 UStG bei richtlinienkonformer Auslegung inhaltlich von § 2 b UStG abweiche, denn Behörden und Gerichte seien verpflichtet, der Auslegung zu folgen, die der EuGH bei der Anwendung von Richtlinienbestimmungen gewählt habe. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts habe der Gesetzgeber durch die Schaffung der Optionsmöglichkeit des § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG daran nichts ändern wollen. Zudem seien die Streitjahre schon zeitlich nicht von der Optionsmöglichkeit erfasst.

Etwas anderes folge auch nicht aus § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 2 UStG, soweit dort für die Bereitstellung von Kureinrichtungen, soweit als Entgelt eine Kurtaxe zu entrichten ist, die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes vorgesehen sei. Denn § 12 UStG setzt systematisch eine unternehmerische Betätigung voraus, könne diese aber nicht begründen. Überdies gelte der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, so dass § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 2 UStG auch aus diesem Grund keine konstitutive Wirkung zukomme.

Da der „Betrieb der Kureinrichtungen“ gegen eine Kurtaxe keine unternehmerische Tätigkeit darstelle, seien die erklärten Umsätze aus der Erhebung der Kurtaxe im Übrigen nicht steuerbar und folglich die bereits vom Finanzamt gewährten Vorsteuerbeträge abzuerkennen. Der Senat sei daran allerdings aufgrund des Verböserungsverbots nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 FGO gehindert, da der G bereits Vorsteuern in erheblichem Umfang zuerkannt und erstattet worden seien.

Selbst wenn aber die G durch den „Betrieb der Kureinrichtungen“ gegen eine Kurtaxe unternehmerisch tätig gewesen sein sollte, würde der begehrte, weitere Vorsteuerabzug jedenfalls am fehlenden Zusammenhang zwischen den Kosten für die Einrichtung, Unterhaltung und den Betrieb der Anlagen und ihrer (unterstellten) wirtschaftlichen Tätigkeit (Kurbetrieb) scheitern. Die öffentlichen Einrichtungen seien dem Allgemeingebrauch gewidmet gewesen. Eventtage, Radtouren und verkaufsoffene Sonntage hätten allgemeinen Zwecken wie der „Verbesserung der Lebensqualität der Einwohner und der Förderung des Einzelhandels“ gedient.

Gegen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang der Eingangsleistungen mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der G spreche zudem, dass die erheblichen Investitionen in die kommunale Infrastruktur keinen Einfluss auf die Höhe des Kurbeitrags gehabt hätten.

Anmerkung:

Nach den Körperschaftsteuerrichtlinien (R 4.5 Abs. 7 KStR 2015) stellen Kurbetriebe einer Gemeinde unter den Voraussetzungen der R 4.1 Abs. 2 bis 5 KStR 2015 (u.a. Vorliegen einer Einrichtung, nachhaltiger Jahresumsatz von über 35.000 €) Betriebe gewerblicher Art dar, und zwar unabhängig davon, ob eine Kurtaxe z.B. als öffentlich-rechtliche Abgabe erhoben wird. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 UStG führt somit der Kurbetrieb einer Gemeinde zur Unternehmereigenschaft dieser Gemeinde. Von der Finanzverwaltung wurde deshalb die Unternehmereigenschaft einer Gemeinde im Zusammenhang mit einem Kurbetrieb nie bestritten. Für diese Auffassung (Bestehen der Unternehmereigenschaft) sprach auch die Tatsache, dass die Kurtaxe nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 2 UStG dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegt. Denn bei einer Nichtunternehmerschaft einer Gemeinde im Zusammenhang mit dem Kurbetrieb wäre diese Regelung überflüssig.

Streitig war in der steuerlichen Praxis jedoch der Umfang des Vorsteuerabzugs im Hinblick auf einen Kurbetrieb. Nach Auffassung der baden-württembergischen Finanzverwaltung (geäußert im o.g. FG-Verfahren) gehören zum Kurbetrieb als BgA nur die klassischen Kureinrichtungen wie z.B. der Kurpark, die Musikmuschel und das Kneipptretbecken. Insoweit bestehe eine Vorsteuerabzugsberechtigung. Auch die Vorsteuerbeträge für die Einrichtung und die Unterhaltung eines heilklimatischen Wanderwegs und eines Geocachings würden gewährt. Alle weiteren Aufwendungen würden aber nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen.

Da das Finanzgericht Baden-Württemberg im Urteil vom 18.10.2018 schon die Unternehmereigenschaft eines Kurbetriebs an sich ablehnt, kommt es zum Ergebnis, dass im Hinblick auf die Kureinrichtungen überhaupt kein Vorsteuerabzug besteht, auch nicht in dem von der Finanzverwaltung gewährten Umfang. Lediglich das sog. Verböserungsverbot nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 FGO schützte im Streitfall die klagende Gemeinde davor, dass sie die vom Finanzamt bereits gewährten Vorsteuerbeträge wieder zurückzahlen muss.

 

Steuerliches Einlagekonto – Verwendungsfestschreibung auf Null Euro bei fehlender Steuerbescheinigung über die Ausschüttung aus einer Kapitalrücklage

BFH, Beschluss vom 11.7.2018, Deutsches Steuerrecht 2018 S. 2569

Sachverhalt:

Vorbemerkung: Da der BFH-Beschluss vom 11.7.2018 zur genauen Höhe des steuerlichen Einlagekontos sowie zur Ausschüttung daraus keine Angaben enthält, wurden die hier im Sachverhalt genannten Beträge vom Verfasser vorgegeben.

Unternehmensgegenstand der A-GmbH, deren alleinige Anteilseignerin die Stadt A ist, sind Versorgungsbetriebe und Bäder.

Am 27.7.2010 beschloss die Gesellschafterversammlung der A-GmbH eine Ausschüttung aus der Kapitalrücklage in Höhe von 20.000 €. Die A-GmbH zahlte diesen Betrag am 28.7.2010 an die Stadt A aus, ohne eine Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG zu erstellen. Zwar ergab sich aus den Bilanzerläuterungen, dass eine Ausschüttung erfolgt sein musste. Die am 12.12.2011 beim Finanzamt eingegangene Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2010 sowie die mit der Körperschaftsteuererklärung für 2010 eingereichte Anlage WA enthielten aber keine Hinweise auf eine Ausschüttung. Dementsprechend erließ das Finanzamt am 10.2.2012 einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2010 nach § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) stand und das steuerliche Einlagekonto in Höhe von 100.000 € feststellte.

Am 6.12.2012 ging beim Finanzamt eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2010 ein, in der die Höhe des steuerlichen Einlagekontos, nach Verminderung um im Wirtschaftsjahr erbrachte Leistungen in Höhe von 20.000 €, nunmehr mit 80.000 € ausgewiesen und die Änderung des Feststellungsbescheids vom 10.2.2012 gemäß § 164 Abs. 2 AO beantragt wurde. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom 28.3.2013 ab und hob den Vorbehalt der Nachprüfung mit weiterem Bescheid vom 25.6.2013 auf.

Nachdem die A-GmbH ihren Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 28.3.2013 zurückgenommen hatte, erließ das Finanzamt am 26.8.2015 eine Einspruchsentscheidung, in der die (sonstigen) Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen wurden. Es begründete seine Entscheidung damit, dass nach dem BFH-Urteil vom 11.2.2015 (BStBl. II 2015 S. 816) eine Korrektur in Form einer erstmaligen Bescheinigung ausgeschlossen sei. Das Finanzgericht Baden-Württemberg wies die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 12.4.2016 (EFG 2016 S. 1994) als unbegründet zurück.

Leitsatz:

Die zum Zeitpunkt des Erlasses eines Feststellungsbescheids über das steuerliche Einlagekonto fehlende Steuerbescheinigung über die Ausschüttung aus einer Kapitalrücklage führt nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG zu einer Verwendungsfestschreibung auf Null EURO; die Norm ist keiner einschränkenden Auslegung zugänglich.

Die Entscheidung des BFH erfolgte nach § 126 a FGO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung. Da die A-GmbH der Stadt A bis zum Tag der Bekanntgabe des Bescheids vom 10.2.2012 über die Feststellung des Einlagekontos zum 31.12.2010 keine Steuerbescheinigung nach § 27 Abs. 3 KStG erteilt habe, sei nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG von einer Minderung des Einlagekontos aufgrund der Ausschüttungen des Jahres 2010 um Null EURO auszugehen und die hiermit verbundene Verwendungsfiktion (Gewinnausschüttung) der Feststellung des Einlagekontos zum Ende des Jahres 2010 zugrunde zu legen. Von dieser Rechtsfolge kann angesichts des eindeutigen Normwortlauts nicht im Wege der teleologischen Reduktion des § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG abgesehen werden.

Eine spätere Änderung der zunächst erteilten oder nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG fingierten Bescheinigung nach § 129 AO kommt nicht in Betracht, weil § 27 Abs. 5 Satz 2 und 3 KStG sowohl tatbestandlich als auch mit Rücksicht auf ihre Rechtsfolgen eindeutig gefasst seien (BFH, Urteil vom 11.2.2015, BStBl. II 2015 S. 816). Daran ändere für den Streitfall auch der Umstand nichts, dass der ursprüngliche, vom 10.2.2012 datierende Bescheid über die gesonderte Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2010 nach § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden habe. Abgesehen davon, dass der auf § 164 Abs. 2 AO gestützte Änderungsantrag der A-GmbH abgelehnt, der Vorbehalt aufgehoben und der Einspruch gegen die Ablehnung später zurückgenommen worden ist, sei zu berücksichtigen, dass § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG nicht auf die Bestandskraft des Bescheids abstelle, sondern ausdrücklich auf dessen „erstmalige Bekanntgabe" i.S.d. § 122 AO.

Soweit die A-GmbH vorbringe, es sei kein sachlicher Grund dafür zu erkennen, die Körperschaft und ihre Anteilseigner in den von § 27 Abs. 5 Satz 1 und 2 KStG erfassten Sachverhalten anders zu behandeln als in Fällen, in denen die Steuerbescheinigungen zutreffend seien und es zufälligerweise auch blieben, verkenne sie, dass es dem Gesetzgeber erkennbar darum ging, die Notwendigkeit der späteren Änderung von Bescheinigungen nach § 27 Abs. 3 KStG und mithin zu Verfahrensverzögerungen führende Folgeanpassungen auf Ebene des Gesellschafters auszuschließen. Gerade dies mache (auch) eine Regelung für Fälle einer unterbliebenen Bescheinigung erforderlich, weil eine Nichtbescheinigung keine günstigeren Folgen als die Bescheinigung einer zu geringen Einlagekontoverwendung auslösen dürfe. Entsprechend habe der Gesetzgeber für die in § 27 Abs. 5 Satz 1 und 2 KStG genannten Fälle die Lösung gewählt, durch unwiderlegbare gesetzliche Vermutung zu fingieren, dass die Körperschaft ihren Anteilseignern eine Einlagenrückzahlung in Höhe von Null EURO bescheinigt habe. Dies diene dem legitimen Zweck der Herstellung von Rechtssicherheit bezogen auf die verfahrenssichere Abstimmung der betroffenen Besteuerungsebenen.

Die durch die Anwendung des § 27 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 KStG ausgelösten Rechtsfolgen seien sowohl der A-GmbH als auch ihrer Anteilseignerin zumutbar, weil von der ausschüttenden Körperschaft regelmäßig verlangt werden könne, sich spätestens anlässlich der Erstellung der Feststellungserklärung nach § 27 Abs. 2 Satz 4 KStG mit dem Umfang ihrer Bescheinigungspflicht nach § 27 Abs. 3 und 4 KStG zu befassen und ihren Anteilseignern entsprechende Bescheinigungen zu erteilen. Bei Verletzung dieser die A-GmbH und ihre Anteilseignerin treffenden Pflichten sei die durch § 27 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 KStG ausgelöste Rechtsfolge der Verwendungsfestschreibung auf Null EURO selbst dann nicht unangemessen, wenn sich die fingierte Verwendung – wie im Streitfall – nachträglich als fehlerhaft erweise.

Anmerkung:

Nach § 27 Abs. 3 KStG hat eine Kapitalgesellschaft im Falle von Abgängen aus dem steuerlichen Einlagekonto gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG nach amtlichem Muster ihrem Anteilseigner als Adressat der Erklärung namentlich und unter Angabe seiner Wohnanschrift die Höhe sowie den Zahlungstag der Leistungen, die das steuerliche Einlagekonto gemindert haben, zu bescheinigen. Wird dem nicht oder nur unzutreffend genügt, unterscheidet § 27 Abs. 5 KStG danach, ob die Kürzung des Einlagebetrags
1. überhöht,
2. zu niedrig oder
3. (wie im Streitfall oben) gar nicht bescheinigt worden ist.

In ersterem Falle eröffnet § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG zwar die Möglichkeit, die Steuerbescheinigung zu berichtigen. Erweist sich dies jedoch beispielsweise mit Rücksicht auf die Verhältnisse bei Publikumsgesellschaften als nicht praxistauglich, sieht § 27 Abs. 3 Satz 4 KStG eine verschuldensunabhängige Haftung der Kapitalgesellschaft für die (aufgrund der überhöht bescheinigten Minderung des Einlagekontos) zu Unrecht nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer mit der Folge vor, dass auch im Falle der Haftungsinanspruchnahme die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos anzupassen ist (§ 27 Abs. 3 Satz 6 KStG).

Wird der Abgang aus dem Einlagekonto zu niedrig bescheinigt (Fall 2), schreibt § 27 Abs. 5 Satz 1 KStG die Verwendung der Eigenkapitalteile gemäß der Bescheinigung fest, so dass diese zugleich der Feststellung des Einlagekontos zugrunde zu legen ist; eine Berichtigung der Bescheinigung ist nach § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG ausgeschlossen.

Ergänzend hierzu gilt nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG für den Fall 3, dass bis zum Tag der Bekanntgabe der erstmaligen Feststellung nach § 27 Abs. 2 KStG keine Steuerbescheinigung gemäß § 27 Abs. 3 KStG erteilt worden ist, der Betrag der Einlagenrückgewähr als mit Null EURO bescheinigt. Auch hier ist nach § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG eine Korrektur der Steuerbescheinigung (nämlich in Form ihrer erstmaligen Erteilung) ausgeschlossen.

Die oben dargestellte BFH-Entscheidung vom 11.7.2018 bestätigt die zum Fall 3 ergangene ständige Rechtsprechung des 1. BFH-Senats und führt aus, dass § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG keiner einschränkenden Auslegung zugänglich ist. Außerdem – so der BFH – verstoßen die Sätze 1 bis 3 des § 27 Abs. 5 KStG nicht gegen die Verfassung.

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