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Streitthema Kopftuchverbot an Schulen - BAG urteilt zu Berliner Neutralitätsgesetz

Erfurt/Stuttgart. Sollen Lehrerinnen im Unterricht ein Kopftuch tragen dürfen? Die Frage sorgt nach wie vor für Diskussionen. Und nach wie äußern sich die Gerichte zu dieser gesellschaftspolitisch brisanten Frage. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Urteil entschieden, dass das Land Berlin einer abgelehnten Bewerberin um eine Stelle als Lehrerin Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zahlen muss (Az. 8 AZR 62/19).

In dem Fall handelt es sich um eine gläubige Muslima, die nach dem Bewerbungsgespräch klar gemacht hatte, dass sie ihr Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen werde. Als ihr abgesagt wurde, verlangte sie Entschädigung. In dem Rechtsstreit berief sich das Land Berlin u. a. auf das Berliner Neutralitätsgesetz. Das Gesetz sieht vor, dass Lehrkräfte in den öffentlichen Schulen keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole oder entsprechende auffällige Kleidungsstücke tragen dürfen. Wie jetzt das BAG entschied, widerspricht dies aber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).

Das BAG bezieht sich dabei auf einen Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2015. Bereits 2003 hatte das BVerfG in einem aufsehenerregenden Urteil zu einem Fall aus Baden-Württemberg geurteilt, dass ein Kopftuchverbot eingeführt werden darf, allerdings nur mittels einer gesetzlichen Regelung. Dieses Urteil rückte das BVerfG dann 2015 zu einem Fall aus Nordrhein-Westfalen zurecht und entschied, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen mit der Verfassung nicht vereinbar ist.

In dem Beschluss schränkten die Richter das pauschale Kopftuchverbot „verfassungskonform“ ein: Lehrerinnen darf das Tragen eines Kopftuchs nur verboten werden, wenn davon „nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgeht“, so die Richter damals.

Diese Auslegung brachte das BAG jetzt in dem Berliner Fall zur Anwendung. Nur bei einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden sei ein Kopftuchverbot gerechtfertigt. Dazu hatte das Land aber nichts vorgebracht, sondern im Gegenteil argumentiert, dass die besondere Situation des Stadtstaats Berlin mit seiner Vielzahl an Nationen und Religionen eine „strikte Neutralität“ verlange. Vor dem BAG hatte das Land Berlin damit aber keinen Erfolg.

Auch in Baden-Württemberg gilt ein Neutralitätsgebot. Das Land hatte nach dem Kopftuchurteil des BVerfG 2004 recht rasch eine Regelung im Schulgesetz eingeführt, die an sich das Kopftuchtragen verbietet und die bis heute unverändert blieb. Die Praxis im Land richtet sich freilich nach den Vorgaben des BVerfG aus dem Jahr 2015; an mehreren Schulen unterrichten Lehrerinnen mit Kopftuch, so etwa laut einer Dokumentation des Bundestages in Stuttgart, Pforzheim und Ludwigsburg. Eine Neuregelung hält der Gesetzgeber dabei, wie die Behandlung einer entsprechenden Petition im Landtag zeigt (Drs. 16/4346), derzeit nicht für erforderlich.

Dies dürfte auch schwierig umzusetzen sein. Eine 2015 von der damaligen grün-roten Landesregierung angestrebte Klarstellung im Schulgesetz war damals an Detail- und Formulierungsfragen gescheitert.

Johannes Buschbeck, Richard Boorberg Verlag