-- WEBONDISK OK --

Anwohner müssen elektromagnetische Felder von Hochspannungsleitungen dulden

Mit Urteil vom 8. November 2022 (Az.: 6 S 833/20) hat der VGH Mannheim entschieden, dass Bürgerinnen und Bürger elektromagnetische Felder von Hochspannungsleitungen dulden müssen, wenn von diesen keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen. In diesen Fällen sind auch zusätzliche Freileitungen zur Gewährleistung der Netzstabilität nicht zu beanstanden.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Bereits seit den 1920-er Jahren befindet sich im Gebiet Ellwangen-Neunheim im Ostalbkreis eine 110-Kv-Stromleitung. Im Laufe der Jahre ist die Wohnbebauung immer näher an die Leitungstrasse herangerückt.

Der Betreiber der Stromleitung, die Netze BW GmbH, beantragte, zur Gewährleistung der Netzstabilität eine Verstärkung des bestehenden Hochspannungsnetzes auf den bereits vorhandenen Masten der Bestandsleitung einen zweiten 110-Kv-Stromkreis zuzubeseilen durch Auflegung dreier Leiterseile auf die freien Traversenplätze der Bestandsleitung.

Am 22.01.2020 genehmigte das Regierungspräsidium Stuttgart einen entsprechenden Planfeststellungsbeschluss.

Dagegen nahmen acht Eigentümer bzw. Wohnrechtsinhaber von mit Wohngebäuden bebauten Grundstücken im Bereich der bereits bestehenden 110-kV-Stromtrasse in Ellwangen-Neuenheim gerichtliche Hilfe in Anspruch.

Sie machten geltend, dass bereits die bestehende Leitung belastend sei. Durch die beantragte zweite Stromleitung entstehe eine noch höhere Belastung. Deshalb müsse die zweite Stromleitung als Erdverkabelung durchgeführt werden. Die vom RP vorgenommene Abwägung sei zu ihren sei zu ihren Lasten erfolgt und so nicht haltbar. Der Planfeststellungsbeschluss verstoße im Übrigen gegen immissionsschutzrechtliche Vorschriften. Außerdem sei ihr Interesse an jeglicher Verschonung vor elektromagnetischen Feldern nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Der erstinstanzlich zuständige VGH in Mannheim hat die Klage abgewiesen und den Planfeststellungsbeschluss des RP Stuttgart für rechtmäßig bewertet.

Nach Ansicht der Richter sei das Vorhaben gerechtfertigt und diene der Gewährleistung der Netzstabilität.

Die Versorgungssituation in der betroffenen Region habe sich in den vergangenen Jahren geändert durch die stetige Zunahme von Photovoltaik- und Windkraftanlagen sowie durch den zu erwartenden weiteren Zubau solcher Anlagen. Durch die demzufolge steigende Einspeisung erneuerbarer Energien bestehe die Gefahr einer Aus- bzw. Überlastung benachbarter Stromkreise. Damit könne nicht mehr sichergestellt werden, dass es im Falle eines Ausfalls nicht zu einer dauerhaften Unterbrechung der Stromversorgung komme.

Des Weiteren stellte das Gericht fest, dass der Planfeststellungsbeschluss auch in Bezug auf die Zubeseilung eines zweiten 110-kV-Stromkreises den Anforderungen des Immissionsschutzrechts genügt. Bereits der Betrieb der Hochspannungsbestandsleitung erzeuge zwar elektromagnetische Felder, die aber keine iSd § 3 Abs. 1 BImSchG schädlichen Umwelteinwirkungen hervorriefen, weil die maßgeblichen Grenzwerte weit unterschritten seien.

Außerdem führten die Richter aus, dass dem sogenannten Minimierungsgebot ebenfalls Genüge getan worden sei. Im Planfeststellungsbeschluss sei nachvollziehbar dargelegt worden, dass bei der Errichtung der Bestandsleitung bereits die technischen Möglichkeiten der Minimierung elektrischer und magnetischer Felder ausgeschöpft worden seien und die weitere Optimierung mit der Leiteranordnung im Rahmen der Ausführungsplanung erfolgen werde.

Mit ihrer Forderung nach einer Erdverkabelung können die Kläger nach Ansicht des Gerichts ebenso wenig durchdringen. Insoweit könnten sie sich nicht auf das Minimierungsgebot des § 4 Abs.2 S.1 der 20. BImSchV berufen, weil danach keine Alternativprüfung verlangt werde, sondern ihm nur die geplante Anlage einschließlich ihrer geplanten Leistung für die geplante Trasse unterworfen sei.

Auf das Erdverkabelungsgebot des § 43 h EnWG können sich die Kläger auch nicht berufen, weil dies nur für den Bau unter Trassen gelte.

Gegen eine Erdverkabelung spreche im Übrigen nach einer Grobkostenkalkulation auch der Kostenfaktor, der dann weit überschritten wäre, so das Gericht.

Abschließend führte der VGH aus, dass der Planfeststellungsbeschluss insbesondere nicht an Abwägungsfehlern leide.

Nicht zu beanstanden sei, dass das Regierungspräsidium der Vorbelastung der Kläger durch die seit circa 100 Jahren bestehenden Trasse mit der Bestandsstromleitung erhebliches Gewicht beigemessen habe. Zu Recht sei auch gewichtet worden, dass die Wohnbebauung seitdem immer näher an die Trasse herangerückt sei.

Ins Gewicht sei zutreffenderweise gefallen, dass mit der geplanten Zubeseilung eines weiteren Stromkreises keine Erweiterung des bisher schon bestehenden Schutzstreifens erfolge. Dieser entspräche dem erforderlichen Maß und habe wegen des geplanten Vorhabens nicht erweitert werden müssen.

Die seit Jahren durch die Bestandleitung bestehende Vorbelastung der Kläger führe auch nicht dazu, dass ihr Interesse, in Zukunft von Belastungen freigestellt zu werden, besonders schutzwürdig sei. Die Kläger hätten sich zum einen nämlich seitdem auf die bestehende Freileitung einstellen können. Und zum anderen stehe ihrem ausgeführten Interesse entgegen, dass sie oder ihre Rechtsvorgänger in den Schutzstreifen hineingebaut hätten, obwohl dieser in den Bebauungsplänen ausgewiesen worden sei.

Letztlich habe der Planfeststellungsbeschluss auch die Belastung der Immissionen durch elektromagnetische Felder unterhalb der Grenzwerte ausreichend abgewogen, so der VGH.

Tatjana Wellenreuther, Richard Boorberg Verlag