1. Wurden Schädigungsmechanismen an einem Bauteil eines Kernkraftwerks unter Einschaltung sachverständiger Hilfe umfassend aufgeklärt und in Abstimmung mit den maßgeblichen Fachgremien Abhilfe- und Sicherungsmaßnahmen entwickelt, besteht in Bezug auf deren hinreichende Wirksamkeit mit Blick auf die Nichtüberschreitung der Restrisikoschwelle eine behördliche Einschätzungsprärogative. Diese ist gerichtlich bei gehöriger Ermittlung nur auf Willkür bei der Risikobewertung oder das Anlegen eines nicht hinreichend vorsichtigen Prüfungsmaßstabs hin zu überprüfen.
2. Dampferzeugerheizrohre eines Druckwasserreaktors müssen als Teil der druckführenden Umschließung so beschaffen, angeordnet sein und betrieben werden, dass nach dem Maßstab der praktischen Vernunft das Auftreten von rasch fortschreitenden Rissen und von spröden Brüchen nicht zu unterstellen ist. Dies kann u. a. durch eine hinreichende Kontrolldichte bei wiederkehrenden Prüfungen sichergestellt werden.
Atomaufsicht; Betriebseinstellung; Widerruf der Betriebsgenehmigung; Kernkraftwerk; Wanddickenschwächungen; Spannungsrisskorrosion; Dampferzeugerheizrohre (DEHR); Tragfähigkeit; Risikoeinschätzung; Exekutiver Funktionsvorbehalt; Gefahrenprognose; Restrisiko; Praktische Vernunft; Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke (SiAnf); KTA-Regeln
AtG § 19 Abs. 3 , AtG § 17 Abs. 5
In der Verwaltungsrechtssache
1.
2.
- Kläger -
prozessbevollmächtigt:
- zu 1, 2 -
gegen
Land Baden-Württemberg,
vertreten durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg,
Kernerplatz 9, 70182 Stuttgart, Az:
- Beklagter -
prozessbevollmächtigt:
beigeladen:
prozessbevollmächtigt:
wegen Anträgen auf Betriebsuntersagung gemäß § 19 und § 17 AtG
hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2022
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Kläger begehren die Verpflichtung des Beklagten zur Einstellung des Betriebs des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckar II (GKN II) in Neckarwestheim.
Bei dem GKN II handelt es sich um einen von der Beigeladenen betriebenen sog. Druckwasserreaktor, für den mit Bescheid vom 28.12.1988 die atomrechtliche Genehmigung erteilt wurde. Das GKN II verfügt über drei hintereinanderliegende Kreisläufe zur Wärmeübertragung (Primärkreislauf, Sekundärkreislauf und Kühlkreislauf), die jeweils durch Wärmetauscher voneinander getrennt sind. Im Primärkreis wird durch Kernspaltung Wärme erzeugt und über das Primärkühlmittel zu den Dampferzeugern transportiert. Das Primärkühlmittel fließt in den Dampferzeugern durch vom Boden aus u-förmig verlaufende Heizrohre (Dampferzeugerheizrohre, kurz: DEHR), über die es seine Wärme an das bei diesem Vorgang verdampfende Speisewasser des Sekundärkreislaufs abgibt, das die DEHR von außen umströmt. Die beiden Schenkel der Rohre werden in Anknüpfung an die beim Durchströmen abnehmende Temperatur als "heiße" und "kalte" Seite bezeichnet. Die DEHR bilden zugleich die Barriere zwischen dem Primär- und dem Sekundärkreislauf, der grundsätzlich frei von Radioaktivität ist. Das GKN II verfügt über vier Dampferzeuger mit jeweils 4.118 DEHR, die aus dem Werkstoff Alloy 800 mod. (auch als lncoloy 800 bezeichnet), einer Nickel-Eisen-Chrom-Legierung, bestehen, dessen besondere Widerstandsfähigkeit durch eine spezielle Nachbehandlung bei der Fertigung optimiert wird (sog. Glasperlenstrahlen). Die DEHR haben einen Außendurchmesser von 22 mm sowie eine nominelle Wandstärke von 1,23 mm. Nach dem kerntechnischen Regelwerk müssen sie regelmäßig zerstörungsfrei überprüft werden. Die Radioaktivität im Sekundärkreislauf wird durch mehrere unabhängige Messeinrichtungen überwacht, welche die schnelle Erkennung eines Übertritts von Radionukliden von der Primär- auf die Sekundärseite infolge von Leckagen der DEHR gewährleisten sollen. Im Betriebshandbuch des GKN II ist geregelt, dass die Anlage bei einer bestätigten Leckage von ≥ 40 ml/h in den Dampferzeugern "abzufahren" ist.
Bei der Jahresrevision 2017 wurden im Rahmen der planmäßigen Überprüfungen von zwei der vier Dampferzeuger an insgesamt 32 DEHR Befunde in Form flächiger Abträge an der Oberfläche, sog. volumetrische Wanddickenschwächungen festgestellt. In der Revision 2018 wurden daraufhin die Heizrohre aller Dampferzeuger Prüfungen unterzogen. Dabei zeigten 101 DEHR neben neuen volumetrischen Wanddickenschwächungen erstmals sog. lineare, d. h. rissartig verlaufende Wanddickenschwächungen in Umfangsrichtung der Rohre. Die größte gemessene lokale Wanddickenschwächung betrug 91 %. Wanddurchdringende Risse wurden nicht festgestellt. Alle DEHR mit linearen Befunden wurden mit einem Füllstopfen stabilisiert und beidseitig mit Walzstopfen verschlossen. Von den DEHR mit volumetrischen Befunden wurden solche verschlossen, die Wanddickenschwächungen von mehr als 30 % aufwiesen.
Als Ursachen für die festgestellten Wanddickenschwächungen wurden für die volumetrischen Befunde Lochkorrosion bzw. sog. intergranular Attack (kurz: IGA), eine spezielle Form der Korrosion, sowie für die linearen Schädigungen Spannungsrisskorrosion ermittelt. Die Spannungsrisskorrosion wurde zurückgeführt auf das gleichzeitige Auftreten korrosiver Umgebungsbedingungen, einem unter diesen Umgebungsbedingungen empfindlichen Werkstoffzustand und die bestehenden Zugspannungen. Eine im Jahr 2010 geänderte sekundärseitige Speisewasserchemie (Sauerstoffdosierung im Heizdampf der Wasserabscheider-Zwischenüberhitzer) habe zu einem vermehrten Eintrag von Eisenoxid in die Dampferzeuger geführt, das sich teilweise auf deren Rohrböden ablagert habe. Zusätzlich seien im konventionellen Kondensator der Anlage Leckagen aufgetreten, wodurch salzartige Verunreinigungen, insbesondere Sulfate, in den Sekundärkreislauf eingetragen worden seien. Diese Verunreinigungen hätten sich über einen längeren Zeitraum in den Oxidablagerungen auf den Rohrböden und insbesondere in den konstruktiv bedingten Spalten zwischen den DEHR und dem Rohrboden aufkonzentriert. In der Folge hätten sich lokal stark saure Umgebungsbedingungen ausgebildet, die zu Korrosionsvorgängen am Rohrboden geführt hätten, wodurch lokal Bereiche der DEHR freigelegt worden seien, in denen die positive Wirkung des Glasperlenstrahlens aufgehoben sei. Dies habe im Ergebnis zum Entstehen der Spannungsrisskorrosion geführt.
Nach einem fachlichen Austausch zwischen der beigeladenen Anlagenbetreiberin, dem Anlagenhersteller, verschiedenen Sachverständigen und Werkstoffexperten, der zuständigen Aufsichtsbehörde und dem Unterausschuss "Druckführende Komponenten und Werkstoffe" der Reaktorsicherheitskommission (RSK) wurden ab 2018 verschiedene Abhilfemaßnahmen eingeleitet. So wurden zur Reduzierung des Eisenoxideintrags die sekundärseitige Sauerstoffdosierung eingestellt und das Betriebshandbuch bezüglich der chemischen Parameter angepasst, zur Reduzierung des Eintrags salzartiger Verbindungen Kondensatorleckagen weitgehend beseitigt, zur Vermeidung neuer Kondensatorleckagen Kondensatorrohre vorsorglich verschlossen, zur weitgehenden Entfernung des korrosiven Inventars die Rohrböden aller Dampferzeuger gereinigt und gespült, ein Spül- und Konservierungsprogramm in das Revisionsprogramm einbezogen und DEHR mit volumetrischen Wanddickenschwächungen von mehr als 30 % sowie solche mit linearen Wanddickenschwächungen mittels Walzstopfen und zur Stabilisation zusätzlich mittels Füllstopfen verschlossen. Trotz des hierdurch verbesserten Zustands der Dampferzeuger geht man davon aus, dass in Spalten zwischen den DEHR und dem Rohrboden restliche Verunreinigungen verblieben sind und es deswegen nicht auszuschließen ist, dass dort weiterhin korrosive Bedingungen herrschen können.
In der Revision 2019 wurden nach Maßgabe einschlägiger Empfehlungen der RSK in dem auf ein Jahr verkürzten Turnus erneut Überprüfungen an allen nicht verschlossenen Heizrohren der vier Dampferzeuger durchgeführt. Hierbei wurden insgesamt 209 lineare Wanddickenschwächungen an 191 Heizrohren in allen vier Dampferzeugern ermittelt, die danach verschlossen wurden. An 90 der festgestellten mit linearen Anzeichen behafteten Rohren lagen bereits 2018 Wanddickenschwächungen oberhalb der Nachweisgrenze vor, die allerdings erst 2019 infolge der Anwendung einer verbesserten Prüf- und Auswertemethodik festgestellt wurden. Die im Rahmen der Revision 2020 durchgeführten Messungen ergaben insgesamt sieben lineare Wanddickenschwächungen an sieben Heizrohren. In der Revision 2021 kamen 17 lineare Wanddickenschwächungen und sechs volumetrische Wanddickenschwächungen hinzu. Die letzte Revision 2022 ergab 35 neue lineare Befunde, die bis auf denjenigen in dem bislang am meisten betroffenen Dampferzeuger DE 20 alle auf der sog. "kalten Seite" auftraten. Hinzu kam ein neuer volumetrischer Befund. Im Vorfeld der Revision 2022 hatte die XXX XXXX XXXXX GmbH & Co. KG (im Folgenden kurz: XXX XXX) der Anwendung einer im Vergleich zu den Vorjahren veränderten Prüfstrategie (kein genereller Einsatz des MRPC-Sensors an allen DEHR) - auch mit Blick auf das bei der Revisionsprüfung noch zugrunde gelegte Laufzeitende am 31.12.2022 - zugestimmt (Stellungnahme vom 18.05.2022). Vor dem gleichen Hintergrund wurde die Anwendung eines erweiterten Reinigungs- und Spülprogramms insbesondere mit dem Ziel einer weitergehenden Entfernung von Verunreinigungen insbesondere durch am Rohrboden abgesetzte "Abplatzungen" als verzichtbar angesehen (Stellungnahmen XXX XXX vom 16.06.2022).
In seiner Stellungnahme vom 21.06.2022 zum Wiederanfahren nach der Revision 2022 gab der XXX XXX die Bewertung ab, nach der bisherigen Betriebserfahrung seien die 2018 für die bruchmechanischen Berechnungen verwendeten Rissannahmen weiterhin abdeckend. Es sei nachgewiesen, dass mit der vorhandenen sekundärseitigen Aktivitätsüberwachung eine auftretende Leckage infolge eines wanddurchdringenden Risses an einem DEHR sicher detektiert werden könne. Auch bezüglich des im Betriebshandbuch für die Leckagerate festgelegten Abschaltgrenzwerts seien deutliche Reserven im Hinblick auf diesen kritischen Durchrisswinkel vorhanden. Die Tiefenerstreckung der einzigen in 2022 neu detektierten volumetrischen Anzeige sei im Vergleich zu den Befunden in den Jahren 2017, 2018 und 2019 geringer; sie bewege sich unterhalb von 10 % und unterschreite damit die Registrierschwelle von 20 %. Praktisch sei der sekundärseitige Schadensmechanismus Lochkorrosion/IGA zum Erliegen gekommen. Die Tiefen- und Umfangserstreckungen der in 2022 detektierten linearen Anzeigen seien im Vergleich mit den Befunden 2018 und 2019 im Mittel geringer. Sie seien jedoch im Mittel größer als die in der Revision 2021 detektierten Anzeigen sowie - bezogen auf ihren Umfang - auch größer als die 2020 festgestellten. Die Maximalwerte der festgestellten Wanddickenschwächungen seien seit der Revision 2018 und unter Berücksichtigung vorliegender Schwankungen tendenziell rückläufig. Mit nur einer Anzeige komme die Spannungsrisskorrosion auf der heißen Seite nicht mehr nachhaltig zum Tragen, wohingegen sie auf der kalten Seite weiterhin aktiv sei. Es könne aber auf das Vorliegen einer deutlich verlangsamten Schädigungsdynamik geschlossen werden, da die jetzt auf der kalten Seite festgestellten linearen Schädigungen im Mittel eine geringere Wanddickenschwächung aufwiesen als die in der Vergangenheit auf der heißen Seite aufgetretenen Anzeigen. Die in der Revision 2022 ermittelten Spalttiefen, Dissymmetrie-Werte (als Hinweis auf sog. Denting) und Ablagerungshöhen ließen keine signifikanten Veränderungen gegenüber den in 2021 jeweils ermittelten Werten erkennen. Die Korrosion, die zum Angriff des Rohrbodens und zur Entstehung von Denting an den DEHR geführt habe, sei damit ebenfalls weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Prozesse, die zu einem fortschreitenden Belagsaufbau an den DE-Heizrohren und zur Vermehrung der Ablagerung auf den Rohrboden führten, stagnierten. International lägen bereits Betriebserfahrungen zu vergleichbaren linearen Anzeigen auf den kalten Seiten der DE vor. Hinsichtlich der Sulfatausträge während des Reinigungs- und Spülprogramms sei in der Revision 2022 ein Wiederanstieg zu beobachten gewesen, der sich jedoch weit unterhalb des Niveaus von 2018 bewege. Der Abbau der Verunreinigungen in den Dampferzeugern schreite fort. Der im Zyklus 2021/2022 gegenüber dem Zyklus 2020/2021 verstärkte Austrag ionaler Stoffe könne durch eine veränderte Kinetik der Extraktion bestehender Belage, z. B. als Folge vermehrter Abplatzungen nach einem Lastabwurf im August 2021, bedingt sein. Durch das fortschreitende Abplatzen von Belägen an den DEHR würden zusätzliche Belagsoberflächen freigelegt, aus denen Sulfate freigesetzt würden. Der Gehalt an korrosionsfördernden Verunreinigungen habe sich aber nicht signifikant verändert. Die Gesamtheit der durchgeführten Maßnahmen sei geeignet, die Gefahr, dass die insbesondere noch auf den kalten Seiten der DE in den Spalten zwischen den Rohrboden und den DE-Heizrohren vorliegenden korrosionsfördernde Bedingungen zu einem gegenüber den Vorjahren signifikant verstärkten Korrosionsfortschritt an den DE-Heizrohren führen, wirksam zu reduzieren.
Bereits in seiner Stellungnahme zur Jahresrevision 2021 vom 05.07.2021 hatte der XXX XXX ausgeführt, mit dem Nachweisvermögen der sekundärseitigen Aktivitätsüberwachung sei sichergestellt, dass eine Leckagerate detektiert werde, die deutlich kleiner sei als diejenige, die sich bei einem wanddurchdringenden Riss mit einer kritischen Länge und einer integralen Wanddickenschwächung von 50 % ergebe, der bei einer abdeckenden Störfallbelastung im Fall eines sog. ATWS-Störfalls zu einem spontanen Versagen eines DEHR (sog. "2F-Bruch") führen würde.
Unter dem 19.06.2020 beantragten die Kläger beim Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, den Betrieb des GKN II mit geschädigten bzw. vorgeschädigten Dampferzeugern unverzüglich zu untersagen und die erteilte Genehmigung zum Betrieb des GKN II zu widerrufen, hilfsweise die Beseitigung des gegenwärtigen Zustands des GKN II durch Austausch der geschädigten bzw. vorgeschädigten Dampferzeuger vor einer erneuten Betriebsaufnahme anzuordnen sowie die nachträgliche Auflage zu erlassen, dass ein Betrieb des GKN II nur mit nicht geschädigten und nicht vorgeschädigten Dampferzeugern gestattet wird.
Diesen Antrag lehnte das Ministerium mit Bescheid vom 09.11.2020 ab. Eine Abweichung vom einschlägigen kerntechnischen Regelwerk sei nicht festzustellen. Dass dieses nicht mehr den Stand von Wissenschaft und Technik abbilde, hätten die Kläger nicht nachvollziehbar vorgetragen. Die Anlage befinde sich auch nicht in einem Zustand, aus dem sich Gefahren bzw. eine erhebliche Gefährdung ergeben könnten. Auch ein Gefahrenverdacht liege nicht vor.
Am 11.12.2020 haben die Kläger hiergegen Klage erhoben. Einen am 08.06.2021 gestellten Eilantrag mit dem Ziel einer vorläufigen Betriebsuntersagung hat der Senat mit Beschluss vom 27.04.2022 - 10 S 1870/21 - abgelehnt.
Die Kläger machen zusammengefasst geltend, die Störfallsicherheit des GKN II sei nicht mehr gegeben, weswegen ihnen schwerwiegende Verletzungen ihrer Rechte insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 GG drohten. Die rechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Stilllegung der Anlage gemäß § 19 Abs. 3 AtG lägen vor, wobei das Entschließungsermessen in Anbetracht der betroffenen Grundrechte auf null reduziert sei. Eine Ermessensreduktion auf null müsse auch deshalb angenommen werden, weil nicht nur die Voraussetzungen nach § 19 Abs. 3 AtG erfüllt seien, sondern sogar eine erhebliche Gefährdung im Sinne von § 17 Abs. 5 AtG vorliege. Entgegen der Ansicht des Beklagten liege sowohl ein regelwidriger Zustand als auch eine Gefahr im Sinne von § 19 Abs. 3 AtG vor.
Die korrosiven Bedingungen in den Dampferzeugern und damit der der Spannungsrisskorrosion zugrundeliegende Schädigungsmechanismus seien nicht beseitigt. Es drohe daher weiterhin ein systematischer Ausfall von DEHR durch die unvorhersehbare Rissentwicklung bei fortbestehender Spannungsrisskorrosion. Ein Integritätsnachweis für die geschädigten DEHR fehle, so dass ein spontaner Bruch auch mehrerer DEHR schon im Normalbetrieb jederzeit möglich sei. Die gesetzlich geforderte Störfallbeherrschung sei damit nicht gewährleistet. Hieraus ergebe sich die akute, konkrete und signifikant über das hinzunehmende Restrisiko hinaus erhöhte Gefahr eines schweren Kühlmittelverlust- bzw. ATWS-Störfalls, der sich bis zu einer Kernschmelze mit weitreichenden Folgen entwickeln könne. Die Antragsteller stellen hierzu insgesamt 18 Einzelthesen auf, für die sie sich insbesondere auf fachliche Stellungnahmen von Prof. Dr.-Ing. XXXXX vom Juni 2020 ("Bewertung zu Schäden durch Spannungsrisskorrosion an Dampferzeuger-Heizrohren im KKW Neckarwestheim 2 (GKN II)"), des Diplomingenieurs XXXX vom 19.02.2021 ("Gutachterliche Stellungnahme zum ,Leck vor Bruch'-Nachweis und zu speziellen Fragestellungen bezüglich des AKW Neckarwestheim 2 (GKN II)") und der Diplomphysikerin XXXXX vom März 2021 ("Kurzstellungnahme ,Potenzielle radiologische Folgen eines Unfalls im GKN II für die Kläger'") stützen. So seien bei mehreren 2018 registrierten Umfangsrissen an den DEHR im GKN II aufgrund der gemeinsamen Ursache Spannungsrisskorrosion alterungsbedingte Ausfälle infolge systematischer Fehler zu unterstellen. Die bis heute andauernd auftretenden alterungsbedingten Schädigungen der DEHR seien Folgen eines systematischen Fehlers, der bereits zu mehreren Ausfällen von DEHR geführt habe und zu weiteren führen könne, was nach dem kerntechnischen Regelwerk zur vorbeugenden Instandhaltung gemäß der Sicherheitstechnischen Regel 1403 des Kerntechnischen Ausschusses (KTA) zu verhindern sei. Die Vorgaben der KTA 3201.4 zu wiederkehrenden Prüfungen und zur Betriebsüberwachung mit dem Ziel der Sicherstellung der Komponentenintegrität würden nicht erfüllt. Es fehle an einer durch einen möglichen neuen Stand von Wissenschaft und Technik belegten Begründung für das regelwidrige Nichterfüllen der Anforderungen aus KTA 3201.4 und KTA 1403. Es liege weder eine bruchmechanische Analyse auf der Grundlage der KTA 3206 noch eine bruchmechanische Analyse unter korrekter Anwendung der in der KTA 3206 beschriebenen Berechnungsverfahren vor, die als Basis eines validen Integritätsnachweises für potenziell durch Spannungsrisskorrosion geschädigte DEHR dienen könnte. Eine bruchmechanische Analyse rissgeschädigter Rohre nach KTA 3206 sei sowohl für DEHR an sich als auch für den Schadensmechanismus Spannungsrisskorrosion regelwerksseitig nicht zulässig. Eine bloß in Anlehnung an die KTA 3206 durchgeführte bruchmechanische Analyse scheitere schon vor jedem Nachweis eines angeblichen Leck-vor-Bruch-Verhaltens an der bei einer Spannungsrisskorrosion nicht prognostizierbaren Risswachstumsgeschwindigkeit als notwendigem Rechenparameter. Es fehle zudem an verlässlichen Informationen über die Geometrie der in GKN II detektierten Risse, die insbesondere nicht aus den Visualisierungen der bei den Wirbelstrommessungen aufgezeichneten Spannungsamplituden abzulesen oder ableitbar seien. Die Tragfähigkeitsberechnungen, die unter Anwendung der in der KTA 3206 beschriebenen Berechnungsmethoden (sog. FSK/MPA-Verfahren) durchgeführt worden seien, fußten auf regelwidrigen und sachlich falschen Eingangsparametern, so dass ihre Ergebnisse nicht als Grundlagen für eine bruchmechanische Analyse, einen Integritätsnachweis, eine Gefahreneinschätzung oder eine sonstige Schlussfolgerung verwendet werden könnten. Internationale Betriebserfahrungen zeigten, dass beim Schädigungsmechanismus Spannungsrisskorrosion jedenfalls beim Werkstoff Incoloy 600 ein spontanes Brechen von DEHR möglich sei. Berstversuche an DEHR aus Incoloy 800 mod. hätten gezeigt, dass Rohre mit Umfangskerben kein Leck bildeten, sondern spontan brächen. Es lägen seit 2018 Prüfergebnisse aus den Dampferzeugern in GKN II vor, die bei sachgerechter Anwendung des in der KTA 3206 beschriebenen FSK/MPA-Rechenverfahrens zur Tragfähigkeitsberechnung rissgeschädigter Rohre zeigten, dass in Folge von Spannungsrisskorrosion spätestens 2018 von einem gleichzeitigen Integritätsverlust gleich mehrerer DEHR auszugehen sei. Die 2018 registrierten DEHR-Schädigungen seien so gravierend, dass sie außerhalb des Gültigkeitsbereichs des in der KTA 3206 als alternative Berechnungsmethode für rissgeschädigte Rohre beschriebenen J-T-Verfahrens lägen. Das GKN II werde mit diesen Mängeln seit Jahren in Sicherheitsebene 2 ("Störung") betrieben und sei entgegen dem kerntechnischen Regelwerk nicht durch Instandsetzungsmaßnahmen wieder in Sicherheitsebene 1 ("ungestörter Betrieb") überführt worden.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft vom 09.11.2020 zu verpflichten, den Betrieb des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckar II (GKN II) unverzüglich zu untersagen und die Betriebsgenehmigung für das GKN II zu widerrufen,
hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft vom 09.11.2020 zu verpflichten, die Beseitigung des gegenwärtigen Schädigungsmechanismus des GKN II oder den Austausch der geschädigten bzw. vorgeschädigten Dampferzeuger vor einer erneuten Betriebsaufnahme anzuordnen sowie die nachträgliche Auflage zu erlassen, dass ein Betrieb des GKN II nur mit nicht geschädigten und nicht vorgeschädigten Dampferzeugern gestattet wird.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie sind der Klage unter Bezugnahme auf vorliegende Sachverständigengutachten (u. a. Stellungnahmen XXX vom 29.06.2020 und des Physikerbüros XXXXXX vom 10.07.2020 zum Gutachten Prof. Dr. XXXXX, Gutachten Prof. Dr. XXXXX vom 12.07.2020 über "Nachweise zur Integrität der Dampferzeuger-Heizrohre ME 04/2018 "Lineare Anzeigen an Dampferzeuger-Heizrohren" im GKN II", Stellungnahmen des Physikerbüros XXXXX vom 31.03.2021 und der XXX vom 07.04.2021 zum Gutachten XXXXX) entgegengetreten. Zusammenfassend tragen sie vor: Aus den von den Klägern in Bezug genommenen fachlichen Stellungnahmen ergäben sich keine neuen Erkenntnisse, welche die bisherige sicherheitstechnische Bewertung in Frage stellen würden. Ihre Einwände beruhten auf unzutreffenden Grundannahmen. Der Nachweis der Tragfähigkeit geschädigter DEHR sei nicht nach dem in Anhang A der KTA 3206 vorgegebenen Algorithmus zur bruchmechanischen Analyse von postulierten Fehlern durchzuführen. Die in KTA 3206, Anhang B, beschriebenen Berechnungsverfahren entsprächen dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik. Sie seien zur konservativen Berechnung der Grenztraglast von Komponenten mit rissartigen Fehlern allgemein anwendbar und bewährt. Die Beigeladene habe ebenfalls umfangreiche Untersuchungen durchgeführt, die u. a. dem zuständigen Unterausschuss der RSK vorgestellt, dokumentiert sowie von den Gutachtern geprüft und bestätigt worden seien. Diese beinhalteten Nachweise der Eignung in Bezug auf den DEHR-Werkstoff, der Eignung der angewendeten Wirbelstromprüftechnik zur konservativen Beschreibung der Rissgeometrie und der Eignung in Bezug auf die konservative Berechnung der Grenztragfähigkeit. Die in den Dampferzeugern des GKN II verbauten DEHR fielen unter die KTA 3201.1 und erfüllten in vollem Umfang die dort in Bezug auf Werkstoff und Erzeugnisform festgelegten Qualitätsanforderungen. Die Grenztragfähigkeit sei auf Grundlage einer konservativen Berechnung nachgewiesen. Die Eignung und Konservativität des verwendeten Grenztraglastverfahrens "FSK/MPA" sei anlässlich der Revision 2018 umfassend bewertet und nachgewiesen worden. Die in dem Traglastnachweis zugrunde gelegte einhüllende Fehlergeometrie sowie die verwendeten Werkstoffkennwerte und Belastungen erfüllten den im kerntechnischen Regelwerk geforderten Grundsatz der Konservativität. Bei der sekundärseitigen Spannungsrisskorrosion an DEHR handle es sich um einen bekannten Schädigungsmechanismus, zu dem ein weltweiter Kenntnisstand und umfangreiche Betriebserfahrungen vorlägen. Selbst bei vereinzelt beobachteten sog. "Schnellläufern" seien in keinem Fall lokal wanddurchdringende Risse innerhalb eines Inspektionsintervalls festgestellt worden, wobei die Inspektionsintervalle mehr als zwölf Monate und teilweise sogar mehrere Jahre betragen hätten. Ein Spontanversagen sei bei diesem Schädigungsmechanismus bislang noch nie beobachtet worden. Die RSK habe sich in ihren Beratungen ausführlich mit der Problematik befasst und in ihren Stellungnahmen vom 15.07.2010, vom 03.05.2012 sowie vom 22./23.10.2019 entsprechende Empfehlungen formuliert. Bereits in den Stellungnahmen 2010 und 2012 gehe die RSK davon aus, dass durch eine Reduzierung des Prüfintervalls auf einen Betriebszyklus (zwölf Monate) und die Erhöhung des Prüfumfangs auf 100 % aller DEHR mit der Array-Sonde im Bereich zwischen Rohrbodeneintritt und erstem Abstandshalter, in Verbindung mit den anderen Empfehlungen, unzulässige DEHR-Leckagen oder gar auslegungsüberschreitende Ausfälle nicht zu unterstellen seien. Die Stellungnahme der RSK aus dem Jahr 2019, die den aktuellen Kenntnisstand berücksichtige, stelle dies nicht in Frage. Auf Grundlage dieses Kenntnisstands könnten auch bei dem hier vorliegenden Schädigungsmechanismus abdeckende Annahmen bezüglich der innerhalb eines Betriebszyklus zu erwartenden Schädigungsentwicklung abgeleitet und könne eine ausreichende Tragfähigkeit der DEHR für den jeweils folgenden Betriebszyklus nachgewiesen werden. Bei Einhaltung der Empfehlungen der RSK sei maximal eine unterkritische Leckage zu unterstellen, die durch die Aktivitätsüberwachung frühzeitig erkannt werde. Beim Auftreten einer Leckage, die nach dem Betriebshandbuch ein Abfahren erfordere, werde die Anlage vorsorglich in einen sicheren Zustand überführt, so dass ein dauerhafter Betrieb unter den Bedingungen der Sicherheitsebene 2 ausgeschlossen sei. Leckagen seien für DEHR aus Alloy 800 aber bislang nicht bekannt und auch im GKN II nicht aufgetreten. Die Anlage habe sich somit zu jedem Zeitpunkt im Normalbetrieb auf Sicherheitsebene 1 befunden und es sei kein DEHR so geschädigt gewesen, dass im Anforderungsfall bei den zu unterstellenden Störfällen ein Ausfall erfolgt wäre. Ein systematischer Fehler sei dementsprechend nicht zu unterstellen. Vielmehr verhindere die vorbeugende Instandhaltung in Form der getroffenen Abhilfemaßnahmen alterungsbedingte Ausfälle. Auf der Grundlage der bisher durchgeführten Prüfungen und der festgestellten Befunde in den Jahresrevisionen sowie auf Basis des Integritätsnachweises für die DEHR sei festgestellt worden, dass es zu keinem systematischen Verlust der Integrität von DEHR gekommen sei und die Tragfähigkeit der DEHR bis zur nächsten wiederkehrenden Prüfung nachgewiesen sei. Es liege somit weder eine Abweichung von gesetzlichen Bestimmungen oder der erteilten Betriebsgenehmigung noch eine Gefahr durch ionisierende Strahlen vor, auf die ein Einschreiten gemäß § 19 Abs. 3 AtG gestützt werden könnte.
Auf Grundlage der Stellungnahme des XXX XXX hat das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft am 23.06.2022 dem Wiederanfahren des GKN II nach der Jahresrevision 2022 zugestimmt.
In Bezug auf die vom Bundestag am 11.11.2022 mit dem 19. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes beschlossenen befristeten Weiterbetrieb bis zum 15.04.2022 sowie einen hierfür - zur Rekonfigurierung des Reaktorkerns (von der Beigeladenen auch als "Brennelementwechsel" bezeichnet) - erforderlichen "Kurzstillstand" hat die Beigeladene einen Arbeitsbericht vom 22.11.2022 vorgelegt. Hierzu hat der Beklagte eine Stellungnahme des XXX XXX vom 08.12.2022 vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
Für die weiteren Einzelheiten des jeweiligen Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und die hierzu vorgelegten Anlagen sowie die Akten des Verfahrens 10 S 1870/21 verwiesen. Die Verwaltungsakten des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft lagen dem Senat vor.
I. Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene (§ 74 Abs. 2 VwGO) Klage, über die der Senat im ersten Rechtszug entscheidet (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO), ist nicht begründet.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf die begehrte Betriebsuntersagung bzw. den Widerruf der für den Betrieb des GKN II erteilten atomrechtlichen Genehmigung. Sie werden durch die Ablehnung ihres Antrags auf Einschreiten mit dem angegriffenen Bescheid vom 09.11.2020 daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Kläger haben keinen Anspruch auf ein atomaufsichtliches Einschreiten in Form der Untersagung des weiteren Betriebs des GKN II, weil die hierfür gemäß § 19 Abs. 3 AtG bestehenden Voraussetzungen nicht erfüllt sind (1.). Auch die Voraussetzungen für einen Widerruf der erteilten Betriebsgenehmigung gemäß § 17 AtG liegen nicht vor (2.). Der hilfsweise gestellte Antrag der Kläger bleibt in der Sache ebenfalls ohne Erfolg (3.).
1. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG kann die Aufsichtsbehörde, d. h. hier das von den Klägern angegangene Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (§ 2 AtGZuVO), anordnen, dass ein Zustand beseitigt wird, der den Vorschriften des Atomgesetzes oder der auf dessen Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen, den Bestimmungen des Genehmigungsbescheids oder einer nachträglich angeordneten Auflage widerspricht (sog. Rechtmäßigkeitsalternative) oder aus dem sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können (sog. Gefahrenalternative). Sie kann hierzu insbesondere auch anordnen, dass der Betrieb eines Kernkraftwerks einstweilen oder, wenn eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt oder rechtskräftig widerrufen ist, endgültig eingestellt wird (§ 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG). Das Gesetz nennt in diesem Zusammenhang freilich auch die - aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bei gleicher Eignung grundsätzlich zunächst vorrangige - Anordnung von Schutzmaßnahmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.07.2008 - 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 16; HessVGH, Urteil vom 27.02.2013 - 6 C 825/11.T - DVBl 2013, 726 = juris Rn. 64).
Im vorliegenden Fall ist bereits der Eingriffstatbestand weder in der Rechtmäßigkeits- (a) noch in der Gefahrenalternative (b) erfüllt.
a) Das GKN II befindet sich nicht in einem Zustand, der den Vorschriften des Atomgesetzes, auf dessen Grundlage erlassener Rechtsverordnungen oder den Bestimmungen des Genehmigungsbescheids widerspricht.
aa) Das GKN II wird nicht ohne die nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AtG erforderliche Genehmigung betrieben. Insbesondere handelt es sich bei dem Verschließen geschädigter DEHR nicht um wesentliche Änderungen der Anlage und wird auch ihr Betrieb hierdurch nicht wesentlich geändert mit der Folge, dass sich die Genehmigungsfrage neu stellen würde. Wesentlich sind Änderungen, wenn sie Anlass zu einer erneuten Prüfung geben, weil sie mehr als nur offensichtlich unerhebliche Auswirkungen auf das Sicherheitsniveau der Anlage haben können. Hiervon ist auszugehen, wenn sie nach Art und/oder Umfang geeignet erscheinen, die in den Genehmigungsvoraussetzungen angesprochenen Sicherheitsaspekte zu berühren, und deswegen sozusagen die Genehmigungsfrage erneut aufwerfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.08.1996 - 11 C 9.95 - BVerwGE 101, 347 = juris Rn. 29 m. w. N.). Dies ist hier nicht der Fall, da sich die Betriebsweise des GKN II durch das Verschließen der DEHR in dem bisherigen Umfang nicht ändert. Ob anderes gelten würde, wenn DEHR in einem Ausmaß verschlossen würden, das die Wärmeabfuhr in dem betreffenden Dampferzeuger nicht nur unwesentlich beeinträchtigt (vgl. zur entsprechenden Beurteilung in Bezug auf das GKN II die Stellungnahmen des XXX XXX vom 10.05.2022 und vom 20.06.2022), bedarf hier keiner Beurteilung.
Da die vorliegende Klage nicht das Atomgesetz selbst zum Gegenstand hat und sich insbesondere nicht gegen die Verlängerung der Berechtigung zum Leistungsbetrieb bis zum 15.04.2023 gemäß § 7 Abs. 1 e AtG richtet, ist auch die Frage nicht entscheidungsrelevant, ob es für diese Verlängerung unter Berücksichtigung der einschlägigen unionsrechtlichen Vorgaben der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedurft hätte. Diese Frage ist im Übrigen zu verneinen. Denn anders als in dem von den Klägern angeführten Beispiel der Laufzeitverlängerung belgischer Kernkraftwerke sind bauliche Maßnahmen für den befristeten Weiterbetrieb des GKN II um wenige Monate nicht erforderlich. In dem angeführten Vergleichsfall hat der Europäische Gerichtshof das Vorliegen eines der UVP-Pflicht unterfallenden Projekts aber gerade deswegen bejaht, weil die einen erheblichen längeren Zeitraum von zehn Jahren betreffende Laufzeitverlängerung umfangreiche Renovierungsarbeiten erforderte und die damit potentiell verbundenen Umweltauswirkungen mit denjenigen bei der Erstinbetriebnahme vergleichbar waren (vgl. EuGH, Urteil vom 29.07.2019 - C-411/17 - DVBl 2020, 108 = juris Rn. 79). Hiermit ist die bloße Verlängerung der Betriebsdauer ohne bauliche Maßnahmen oder Veränderungen der Betriebsweise schon im Ansatz nicht vergleichbar (vgl. insoweit auch EuGH, Urteil vom 02.06.2022 - C-43/21 - NVwZ 2022, 1615 zur Verlängerung der Betriebsdauer einer Abfalldeponie).
bb) Der Betrieb des GKN II verstößt nicht wegen einer Überschreitung der Fristen zur Durchführung einer periodischen Sicherheitsüberprüfung (kurz: PSÜ) gegen atomrechtliche Bestimmungen. Nach § 19 a Abs. 1 Satz 3 AtG ist eine PSÜ alle zehn Jahre erforderlich. Die letzte PSÜ des GKN II ist im Jahr 2009 erfolgt, so dass im regulären Turnus bis zum 31.12.2019 (vgl. Anlage 4 zum AtG) die Ergebnisse einer erneuten Sicherheitsüberprüfung vorzulegen gewesen wären. Dies war indes gemäß § 19 a Abs. 2 Satz 1 AtG mit Blick auf das in § 7 Abs. 1 a Satz 1 Nr. 6 AtG geregelte Ende der Berechtigung zum Leistungsbetrieb entbehrlich. Hieran ändert der vom 01.01.2023 bis zum 15.04.2023 gemäß § 7 Abs. 1 e Satz 1 AtG verlängerte Leistungsbetrieb nichts. Denn der Gesetzgeber hat das GKN II anlässlich dieser Verlängerung nunmehr ausdrücklich vom Erfordernis einer PSÜ freigestellt (§ 7 Abs. 1 e Satz4 AtG n. F., vgl. hierzu die Begründung in BT-Drs. 20/4217 S. 11). Verfassungsrechtliche Bedenken, die Anlass zu einer Vorlage dieser Regelung gemäß Art. 100 Abs. 1 GG geben könnten, haben die Kläger nicht vorgetragen. Solche sind für den Senat gerade mit Blick auf die zeitlich nur sehr eingeschränkte Verlängerung des Leistungsbetriebs für dreieinhalb Monate auch sonst nicht - geschweige denn in einem die Überzeugung von einer Verfassungswidrigkeit begründenden Maß (vgl. insoweit Dederer in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 100 Rn. 128 ff. m. w. N. zur verfassungsgerichtlichen Rspr.) - ersichtlich.
cc) Die Einschätzung der Kläger, das GKN II befinde sich aufgrund geschädigter DEHR nicht in dem durch die Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke (SiAnf, BAnz AT 30.03.2015 B2 vom 30.03.2015) definierten "Normalbetrieb" (Sicherheitsebene 1), ist unzutreffend. Hierzu hat der Senat in seinem Beschluss vom 27.04.2022 - 10 S 1870/21 - bereits das Folgende ausgeführt (juris Rn. 22):
In diesem Zusammenhang muss nicht näher darauf eingegangen werden, ob Leckagen der DEHR erst dann als Abweichungen vom Normalbetrieb (Sicherheitsebene 1) anzusehen sind, wenn sie den in der Genehmigung für ein Abfahren der Anlage festgesetzten Grenzwert von 40 ml/h überschreiten. Denn die seither festgestellten Wanddickenschwächungen waren sämtlich nicht wanddurchdringend und haben dementsprechend auch keine Leckagen zur Folge gehabt. Sollten Leckagen an DEHR auftreten, könnte mit Blick auf die Barrierefunktion der Dampferzeuger freilich Einiges dafürsprechen, solche ungeachtet von einer Verpflichtung zum sofortigen Abfahren der Anlage bis zum Verschließen des betreffenden Lecks als Störung anzusehen und der Sicherheitsebene 2 zuzuordnen (so auch Gutachten Physikerbüro B. vom 10.07.2020). Dies könnte insbesondere der durch das Konzept der gestaffelten Sicherheitsebenen verfolgte Zweck der Sicherstellung des Einschlusses von und der Abschirmung vor den im Primärkreislauf befindlichen radioaktiven Stoffe und ihrer Strahlung gebieten. Darum geht es jedoch hier nicht, weil ohne eine Leckage kein Primärkühlmittel in den Sekundärkreislauf übertritt. Um ein solches Übertreten frühzeitig zu erkennen, enthält die Anlage zudem entsprechende Messeinrichtungen zur Aktivitätsüberwachung. Die Einschätzung des Antragsgegners, dass die festgestellten nicht wanddurchdringenden Wanddickenschwächungen der DEHR schon mit Blick auf den Erhalt der Barrierefunktion mit einer Leckage nicht gleichgesetzt werden können und nicht zur Einstufung als anomaler Betrieb im Sinne von Sicherheitsebene 2 führen, erscheint in jeder Hinsicht plausibel. So leuchtet es ohne Weiteres ein, dass allein die nicht gänzlich auszuschließende Möglichkeit, dass es aufgrund von Rissbildungen zu auch wanddurchdringenden Rissen oder gar dem Abriss (2F-Bruch) eines DEHR kommen kann, erst bei einer Realisierung eine Störung - bzw. einen Störfall darstellt. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Möglichkeiten sowohl von Leckagen als auch eines 2F-Störfalls in der Genehmigung berücksichtigt sind.
Hieran ist uneingeschränkt festzuhalten, ohne dass dem in Anbetracht des Klagevorbringens noch etwas hinzuzufügen wäre.
dd) Die besonderen Anforderungen an die Basissicherheit gemäß Nr. 3.4 (3) SiAnf gelten nicht für DEHR, da deren Nennweite die Schwelle von DN 50 nicht überschreitet. Wie der Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ebenfalls bereits ausgeführt hat (a. a. O. Rn. 24), ist deswegen auch ein Bruchausschluss nach Maßgabe der KTA-Regel 3206 ("Nachweise zum Bruchausschluss für druckführende Komponenten in Kernkraftwerken") nicht gefordert (siehe hierzu auch ausdrücklich Ziff. 4.1 der Interpretationen zu den SiAnf vom 29.11.2013, BAnz AT 10.12.2013 B4, geändert am 03.03.2015, BAnz AT 30.03.2015 B3). Dementsprechend schreibt etwa das Betriebshandbuch für das GKN II eine - betrieblich zulässige - Leckagerate von 40 g/h als Abschaltwert fest. Das Versagen eines DEHR, das diese betrieblich zulässige Leckage überschreitet, definieren die Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke bis maximal zum sog. 2F-Bruch als zu beherrschenden Störfall (SiAnf Anh. 2 Abschn. 5, Ziff. D 3-31 der Ereignisliste). Soweit sich die sachverständigen Beurteilungen der Integrität der DEHR des GKN II auf die KTA-Regel 3206 beziehen, wird demgegenüber lediglich das in Anhang B der KTA 3206 aufgeführte Verfahren zum Nachweis des Leck-vor-Bruch-Verhaltens entsprechend herangezogen.
ee) Nach Nr. 3.4 (1) SiAnf müssen DEHR als Teil der druckführenden Umschließung aber so beschaffen, angeordnet sein und betrieben werden, dass das Auftreten von rasch fortschreitenden Rissen und von spröden Brüchen nicht zu unterstellen ist. Die hierfür im Einzelnen zu erfüllenden Anforderungen ergeben sich aus den KTA-Regeln 3201.1, 3201.2, 3201.3 und KTA 3201.4 sowie insbesondere der KTA-Regel 1403 zum Alterungsmanagement in Kernkraftwerken, das in Bezug auf die DEHR dem Konzept der vorbeugenden Instandhaltung folgt. Diese erfordert die Überwachung betriebsbedingter Schädigungsmechanismen unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus dem Betrieb auch anderer Anlagen, die Verfolgung des Kenntnisstands hinsichtlich möglicher Schädigungsmechanismen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik sowie die Verhinderung alterungsbedingter Ausfälle infolge systematischer Fehler, wobei ein zufälliges Einzelversagen als zulässig angesehen wird (Nr. 4.1.3.3, vgl. hierzu ebenfalls bereits Senatsbeschluss 27.04.2022 a. a. O. Rn. 24).
Die vorläufige Einschätzung des Senats (Senatsbeschluss vom 27.04.2022 a. a. O. Rn. 25), dass die sich hieraus ergebenden Anforderungen beim Betrieb des GKN II eingehalten werden und das Schadensbild an den DEHR insbesondere auch nicht als systematischer Fehler einzuordnen ist, hat sich auch durch die Ausführungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der Senat hatte in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass es insoweit um die Vermeidung von Ausfällen infolge systematischer Fehler geht und der Begriff eine systematische Fehlerhaftigkeit meint, nicht aber eine gemeinsame Schadensursache wie sie hier vorliegt. Den Erfordernissen des Risikomanagements wurde durch die - nicht zuletzt den Empfehlungen der RSK folgenden - Maßnahmen, insbesondere verkürzten Prüfintervallen für die DEHR Rechnung getragen. Dass die getroffenen Abhilfemaßnahmen auch wirksam waren, auch wenn der Schädigungsmechanismus der Spannungsrisskorrosion nicht gänzlich beseitigt werden konnte, belegen eindrücklich die vorliegenden Revisionsberichte. So führt der XXX XXX in seiner Stellungnahme vom 21.06.2022 etwa aus, der Schadensmechanismus Lochkorrosion/IGA sei quasi zum Erliegen gekommen. Die für die festgestellten linearen Schädigungen (Risse) verantwortliche Spannungsrisskorrosion komme auf nur noch auf der kalten Seite der DEHR nachhaltig zum Tragen. Die Schädigungsdynamik sei aber deutlich verlangsamt. Die Tiefen- und Umfangserstreckungen der bei der letzten Revision 2022 festgestellten Risse seien im Vergleich mit den Befunden 2018 und 2019 im Mittel geringer und die Maximalwerte der festgestellten Wanddickenschwächungen tendenziell rückläufig. Die Korrosion, die zum Angriff des Rohrbodens und zur Entstehung von Denting an den DEHR geführt habe, sei damit ebenfalls weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Prozesse, die zu einem fortschreitenden Belagsaufbau an den DE-Heizrohren und zur Vermehrung der Ablagerung auf den Rohrboden führten, stagnierten. Die durchgeführten Maßnahmen reduzierten wirksam die Gefahr, dass die zwischen den Rohrboden und den DE-Heizrohren noch vorliegenden korrosionsfordernde Bedingungen einen signifikant verstärkten Korrosionsfortschritt an den DE-Heizrohren zur Folge hätten.
b) Vor dem Hintergrund des Vorstehenden kann auch von einer Gefahr für Leben, Gesundheit oder Sachgüter der Kläger nicht ausgegangen werden.
Diese Beurteilung muss den Funktionsvorbehalt der Exekutive berücksichtigen (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 27.04.2022 a. a. O. Rn. 18). Die Exekutive ist im Atomrecht für die Risikoermittlung und -bewertung, also auch für die Beurteilung von Art und Ausmaß bestehender Risiken und die Entscheidung, ob solche hinzunehmen sind oder nicht hingenommen werden können, grundsätzlich allein verantwortlich. Die Gerichte sind daher nicht dazu berufen, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 19.12.1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 "Whyl"). Dies gilt nicht nur bei der Genehmigung von Atomanlagen, sondern auch bei der Ausübung der aufsichtsrechtlichen Befugnisse gemäß § 19 Abs. 3 AtG (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2000 - 11 C 1.00 - BVerwGE 112, 123; HessVGH, Urteile vom 27.02.2013 - 6 C 824/11.T - ZUR 2013, 367 und - 6 C 825/11.T - DVBl 2013, 726 sowie vom 25.03.1997 - 14 A 3083/89 - ESVGH 47, 316; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.11.1999 - 4 K 26/95 - RdE 2000, 146 = juris Rn. 157). Die Ausfüllung des aus dem exekutiven Funktionsvorbehalt folgenden Beurteilungsspielraums unterliegt nur in eingeschränktem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Diese beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Behörde ausreichende Daten ermittelt und ihren Bewertungen zugrunde gelegt hat und ob diese Bewertungen hinreichend vorsichtig sind. Sind die Ermittlungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ausreichend und hat die Behörde sie ihren Bewertungen zugrunde gelegt, so muss sich das Gericht bei der Prüfung, ob diese Bewertungen hinreichend vorsichtig sind, auf eine Willkürkontrolle beschränken (vgl. zu alldem BVerwG, Urteile vom 21.01.2021 - 7 C 4.19 - BVerwGE 171, 128 Rn. 29, vom 22.03.2012 - 7 C 1.11 - BVerwGE 142, 159 Rn. 20, vom 10.04.2008 - 7 C 39.07 - BVerwGE 131, 129 Rn. 25, vom 25.10.2000 a. a. O, vom 14.01.1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 und vom 19.01.1989 - 7 C 31.87 - BVerwGE 81, 185; Beschluss vom 24.08.2006 - 7 B 38/06 - Buchholz 451.171 § 9 a AtG Nr. 1; Senatsbeschluss vom 25.09.2012 - 10 S 731/12 - DVBl 2012, 1506; HessVGH, Urteil vom 27.02.2013 a. a. O.; Posser in Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht - Band 2, 4. Aufl., § 52 Rn. 57).
Ermittlungsdefizite, ein Überschreiten der Willkürschwelle bei der Risikobewertung oder das Anlegen eines nicht hinreichend vorsichtigen Prüfungsmaßstabs kann der Senat nach wie vor nicht feststellen. Die Einschätzung des Umweltministeriums beruht auf einer breiten, gutachterlich aufgearbeiteten Tatsachengrundlage, ist mit erheblichen Teilen der Fachwelt abgestimmt und wurde durch die umfänglichen Überprüfungen der DEHR im Rahmen der jährlichen Revisionen fortlaufend validiert und - zuletzt 2022 - bestätigt. Sie wird durch die von den Klägern vorgelegten Gutachten, welche zu einer abweichenden Risikoeinschätzung kommen, sich aber insbesondere auch nicht zu den durchweg die Einschätzung des Umweltministeriums stützenden Ergebnisse der letzten Jahresrevisionen verhalten, nicht durchgreifend erschüttert. Die in dem angegriffenen Bescheid niedergelegte Risikoeinschätzung wurde schließlich auch durch die Erläuterungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
Die Prognose, dass bis zum Laufzeitende des GKN II keine Gefährdung aufgrund weiterer Wanddickenschwächungen an DEHR zu besorgen ist, die das nach dem Maßstab praktischer Vernunft zu tolerierende Restrisiko übersteigt, erweist sich auf dieser Grundlage als gerechtfertigt und auch hinreichend vorsichtig (vgl. insoweit OVG Schleswig- Holstein, Urteil vom 03.11.1999 a. a. O. Rn. 156; HessVGH, Urteile vom 27.02.2013 a. a. O. Rn. 70). Wie der Senat bereits ausgeführt hat (vgl. Senatsbeschluss 27.04.2022 a. a. O. Rn. 28), können die Kläger eine generelle Restrisikominimierung nicht verlangen.
Der Senat hält die umfangreich durchgeführten Ermittlungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik für ausreichend. Weiteren Ermittlungsbedarf zeigen die Kläger schon nicht konkret auf. Die hierauf basierende Einschätzung, dass ein auslegungsüberschreitender Störfall mit über das hinzunehmende Restrisiko hinausgehender Wahrscheinlichkeit entgegen der Ansicht der Kläger nicht droht, beruht auf hinreichend vorsichtigen Annahmen und ist insbesondere auch nicht willkürlich. Sie waren Gegenstand einer breiten fachlichen Diskussion und sind nicht zuletzt auch in die aktuellen RSK-Empfehlungen zu "Schäden an Dampferzeuger(DE)-Heizrohren durch Spannungsrisskorrosion - Maßnahmen zur Sicherstellung der Integrität der Heizrohre" vom 22./23.10.2019 eingeflossen.
aa) Zweifel an der Validität der fachlichen Risikobewertung ergeben sich nicht aus dem von den Klägern angeführten Umstand, dass Geschwindigkeiten und Geometrien von - auch künftig nicht auszuschließenden - Rissen in DEHR nur eingeschränkt vorhersehbar sind. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass das kerntechnische Regelwerk wie ausgeführt einen kompletten Bruchausschluss für DEHR nicht voraussetzt, und dass es um die eingeschränkte Prognose geht, ob innerhalb eines Prüfintervalls ein Versagen von DEHR zu besorgen ist, das auslegungsüberschreitend ist und insbesondere durch die Aktivitätsüberwachung nicht rechtzeitig entdeckt würde. Die Rissentwicklung muss hierfür konservativ einhüllend beschrieben werden können. Für diese Zwecke ist es nicht zu beanstanden, dass sich der Beklagte einerseits auf Betriebserfahrungen mit dem hier betroffenen und vergleichbaren Werkstoffen gestützt und andererseits Traglastberechnungen durchgeführt hat, die der Senat als plausibel und auch hinreichend konservativ einschätzt. Der Beklagte und die Beigeladene haben hierzu auf umfangreich vorhandene Erkenntnisse zu und weltweite Betriebserfahrungen mit Spannungsrisskorrosion an DEHR hingewiesen. Was die Tragfähigkeitsanalyse anbelangt, bestanden mit den bislang festgestellten Wanddickenschwächungen rechnerisch nicht unerhebliche Tragfähigkeitsreserven. Die fachliche Richtigkeit der Risikoeinschätzung wird dementsprechend durch die in den Revisionsberichten der letzten Jahre niedergelegten Prüfergebnisse bestätigt, mit denen sich die Kläger insoweit freilich nicht näher auseinandersetzen. Dies bestätigt ebenso wie die sonstigen Betriebserfahrungen mit dem Schädigungsmechanismus der Spannungsrisskorrosion, dass "Schnellläufer", die innerhalb eines Betriebszyklus wanddurchdringend sind und zu einem auslegungsüberschreitenden Störfall führen könnten, nach dem Maßstab der praktischen Vernunft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - BVerfGE 49, 89) nicht zu erwarten sind. Dabei ist nicht zuletzt auch zu berücksichtigen, dass selbst die in der RSK-Empfehlung aus dem Jahr 2019 als "Schnellläufer" bezeichneten Risse lediglich eine gemittelte Rissfortschrittsgeschwindigkeit von etwa 20% bis 40% der Wanddicke pro Jahr aufwiesen (Empfehlung vom 22./23.10.2019 S. 10). Die Annahme, dass Risse durch die Aktivitätsüberwachung rechtzeitig erkannt werden und die Anlage abgefahren werden kann, bevor eine kritische Rissgröße erreicht werde, wird auch durch die von der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vorgelegten und mit den Beteiligten erörterten "Leck-vor-Bruch"-Diagramme untermauert. Diese zeigten, dass die in den letzten Jahren festgestellten Risse von den entsprechenden Grenzkurven weit entfernt waren. Maßgeblich für den Anspruch auf Einschreiten ist aber allein, ob die von den Klägern geltend gemachte Gefahr gegenwärtig (noch) besteht. Unerheblich ist demgegenüber, ob in der Vergangenheit eine entsprechende Gefahrenlage bestanden hat, was insbesondere bei den im Jahr 2018 festgestellten Anzeigen möglicherweise in Betracht zu ziehen gewesen wäre. Seitdem sind die festgestellten Risse in Länge und Tiefe stark rückläufig. Der Einwand der Kläger, die durchgeführten Wirbelstromprüfungen hätten die Bewertungsgrenze von 30 % (KTA 3201.4, Nr. 8.2.2.2.4) nicht eingehalten, erschließt sich dem Senat nicht.
Die Einschätzung, dass der Totalabriss eines oder gar mehrerer DEHR während eines Betriebszyklus unwahrscheinlich ist, ist nach alldem auch ohne genauere Kenntnis von Risswachstumsgeschwindigkeiten gerechtfertigt. Da die Rissentwicklung an den DEHR des GKN II mit den getroffenen Maßnahmen beherrschbar erscheint, ist zugleich die Anforderung erfüllt, dass das Auftreten von rasch fortschreitenden Rissen und von spröden Brüchen nicht zu unterstellen ist (Nr. 3.4 (1) SiAnf).
bb) Die Gefahrenprognose begegnet auch nicht deswegen durchgreifenden Bedenken, weil der Schädigungsmechanismus der Spannungsrisskorrosion noch immer nicht vollständig beseitigt ist und die Hide-Out-Return-Analysen (kurz: HOR) zuletzt einen Anstieg des Austrags ionaler Stoffe gezeigt haben. Die Analyseergebnisse werden in der fachlichen Bewertung der Jahresrevision 2022 nachvollziehbar erläutert und stehen der Annahme einer hinreichenden Beherrschung des Schadensmechanismus nicht entgegen. Sie liegen deutlich unterhalb der 2018 festgestellten Werte und überschreiten auch nicht die Grenzwerte des Normalbetriebsbereichs nach dem VGB-Standard für das Wasser in Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktoren.
Vor dem Hintergrund insbesondere der aktuellen, die sicherheitstechnische Bewertung im Ergebnis bestätigenden Ergebnisse der Jahresrevision 2022 kann von einem relevanten Risiko unzureichender Störfallbeherrschung und damit einer Gefahr im Sinne von § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG nicht ausgegangen werden.
2. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen ist auch eine erhebliche, einer Abhilfe nicht zugängliche Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit nicht zu besorgen, bei deren Vorliegen die erteilte Betriebsgenehmigung gemäß § 17 Abs. 5 AtG zu widerrufen wäre. Ebenso wenig sind die Erteilungsvoraussetzungen der atomrechtlichen Genehmigung im Sinne von § 17 Abs. 3 Nr. 2 AtG entfallen.
3. Ausgehend hiervon kann die Klage auch mit dem hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des Beklagten keinen Erfolg haben, die (vollständige) Beseitigung des Schädigungsmechanismus oder den Austausch der (vor-) geschädigten Dampferzeuger anzuordnen bzw. den Weiterbetrieb des GKN II nur mit nicht (vor-)geschädigten Dampferzeugern zu gestatten. Eine solche ggf. als milderes Mittel anzusehende Aufsichtsmaßnahme würde vielmehr ebenfalls das Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG voraussetzen, die jedoch nicht erfüllt sind.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern gemäß § 162 Abs. 3 VwGO auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen Antrag gestellt hat und damit selbst ein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Beschluss:
Beschluss vom 14. Dezember 2022
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 30.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 39 Abs. 1 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nr. 6.2 und 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.