-- WEBONDISK OK --
Farbauswahl:

Newsletter Besteuerung der öffentlichen Hand 04/2019

Von Professor Thomas Maier, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl

Rechtsanwalt/Steuerberater

Nr. 04/2019 (Juni 2019)

Aktuelles Urteil

Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) bei mittelbarer Übernahme von Dauerverlusten kommunaler Eigengesellschaften

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.12.2018 – VIII R 44/15 www.bundesfinanzhof.de

Sachverhalt:

Die Stadt X ist alleinige Gesellschafterin der Y-GmbH. Diese hält ihrerseits 100 % der Anteile an der Z-GmbH. Zwischen der Y-GmbH und der Z-GmbH besteht ein Ergebnisabführungsvertrag. Die Stadt X war ferner beteiligt an der A-GmbH (72,5 %), der B-GmbH (58,986 %) und an der C-GmbH (33,33 %). Diese drei Gesellschaften sind dauerdefizitär. Die X verpflichtete sich in den Gesellschaftsverträgen der drei Gesellschaften zum Ausgleich der von diesen erwirtschafteten Verlusten.

Mit notariellem Vertrag vom 12.12.2003 übertrug die Stadt X ihre Beteiligungen an den drei Gesellschaften (A-, B- und C-GmbH) ohne Gegenleistung an die Z-GmbH. Außerdem erwarb die Z-GmbH von einer fremden Kapitalgesellschaft weitere 33,33 % der Anteile an der C-GmbH. Die Z-GmbH war somit ab dem 12.12.2003 an allen drei Gesellschaften mehrheitlich beteiligt (A-GmbH: 72,5 %, B-GmbH: 58,986 %, C-GmbH: 66,66 %).

In den Streitjahren (2003, 2004) leistete die Z-GmbH an alle 3 Tochtergesellschaften (A-, B- und C-GmbH) Verlustausgleichszahlungen. Hierzu war sie in der Lage, weil die Stadt X mit Wirkung vom 1.1.2003 auf die Z-GmbH auch zwei Aktienpakete übertragen hatte, aus denen diese Dividendenausschüttungen vereinnahmte.

Von den drei dauerdefizitären Gesellschaften erfüllt nur die B-GmbH die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG, weil die von ihr erwirtschafteten Verluste auf kulturpolitischen Gründen beruhen. Der Sachverhalt stellt sich grafisch wie folgt dar:

Schemazeichnung

Das Finanzamt war der Auffassung, dass die Y-GmbH den Tatbestand einer vGA an die Stadt X verwirklicht habe, in dem sie zugelassen habe, dass ihre Tochtergesellschaft Z-GmbH die an sich durch die X zu tragenden Verluste der dauerdefizitären A-, B- und C-GmbH freiwillig bzw. aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht übernommen habe.

Die Rechtsfolge einer vGA sei auch nicht durch § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 KStG oder § 34 Abs. 6 Satz 5 KStG a.F. ausgeschlossen. Die Ausnahmevorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG sei nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur dann anwendbar, wenn die Kapitalgesellschaft das begünstigte Verlustgeschäft selbst betreibe. Diese Voraussetzung werde von der Z-GmbH nicht erfüllt. Eine Anwendung der Übergangsvorschrift des § 34 Abs. 6 Satz 5 KStG a.F. scheide u.a. deshalb aus, weil es für die den Streitjahren vorgelagerten Zeiträume (2002 und früher) keine bestandskräftigen Bescheide gebe, so dass in den Streitjahren (2003, 2004) nicht gemäß § 34 Abs. 6 Satz 5 KStG a.F. nach anderen Grundsätzen „verfahren“ worden sei.

Das Finanzamt erließ deshalb u.a. gegenüber der Stadt X Bescheide über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer (KapSt) und des Solidaritätszuschlags zur KapSt für die Zeiträume 1.1. bis 31.12.2003 und 1.1. bis 31.12.2004.

Leitsätze

1. Der Ausschluss der Rechtsfolgen einer vGA gemäß § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG gilt nicht nur für die begünstigte dauerdefizitäre Eigengesellschaft, sondern auch für die kapitalertragsteuerlichen Folgen beim (unmittelbaren oder mittelbaren) Anteilseigner, wenn er die Dauerverluste wirtschaftlich trägt.

2. Der Bestandsschutz gemäß § 34 Abs. 6 Satz 5 KStG a.F. setzt voraus, dass vor dem 18.6.2008 für den konkreten Einzelfall bestandskräftige – oder zumindest unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene – Bescheide existieren oder eine verbindliche Auskunft erteilt wurde.

Der BFH gab dem Finanzamt teilweise Recht. Die Stadt X habe in den Streitjahren über die Beteiligungskette A-, B- und C-GmbH zwar jeweils Einnahmen aus vGA erzielt, da sämtliche Gesellschaften auf Veranlassung der Z-GmbH dauerdefizitären Tätigkeiten nachgegangen seien. Die hierfür anfallende KapSt nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG sei jedoch nur hinsichtlich der vGA, die durch die Verluste der B-GmbH verwirklicht worden sei, gemäß § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 KStG ausgeschlossen. Hinsichtlich der durch die Verluste der A- und C-GmbH verursachten vGA greifen dagegen weder § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 KStG noch § 34 Abs. 5 Satz 6 KStG a.F.

Die strukturell dauerdefizitären Tätigkeiten der A-, B- und C-GmbH führen auf deren Ebene zu vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und in der Beteiligungskette letztendlich zu einer vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG bei der Stadt X, der mittelbaren Anteilseignerin der A-, B- und C-GmbH. Die strukturell dauerdefizitären Eigengesellschaften A-, B- und C-GmbH üben ihre Tätigkeiten im Interesse der Stadt X aus, da diese Tätigkeiten in den öffentlichen Aufgabenkreis der Stadt X fallen. Damit komme es letztendlich bei der Stadt X zu einem Vermögensvorteil in Form der Ersparnis von Aufwendungen, der ihr in Höhe der bei den Verlustkapitalgesellschaften anfallenden Verluste als kapitalertragsteuerpflichtige vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zufließe.

Für die Verlustausgleichszahlungen der Z-GmbH an die drei Kapitalgesellschaften gebe es keine schuldrechtliche Grundlage. Damit liege kein Verlustausgleich vor, der eine vGA hätte verhindern können. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass für die vGA ganz oder teilweise das steuerliche Einlagekonto als verwendet gelte und damit die Ausnahmevoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG erfüllt seien.

Eine Festsetzung der KapSt scheide – so der BFH – nur hinsichtlich der aus den Verlusten der B-GmbH folgenden Einkünfte der Stadt X aus einer vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG wegen § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 KStG aus, nicht aber hinsichtlich der aus den Verlusten der A- und C-GmbH folgenden Einkünfte der Stadt X aus einer vGA.

Obwohl die Regelung des § 8 Abs. 7 KStG erst durch das Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009) eingefügt worden sei, gelte sie gemäß § 34 Abs. 6 Satz 4 KStG (a.F.) auch für Veranlagungszeiträume vor 2009, d.h. grundsätzlich auch für die Streitjahre.

Nach Auffassung des BFH gelte § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG nicht nur auf der Ebene der Verlustkapitalgesellschaften, sondern auch auf der für den Streitfall entscheidenden Ebene des (mittelbaren) Anteilseigners. Aus dem Wortlaut der Vorschrift lasse sich eine Beschränkung ihres Anwendungsbereiches auf die Ebene der Gesellschaft nicht herleiten.

Die besonderen Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG seien im Streitfall erfüllt. Die Stadt X habe die streitigen Verluste tatsächlich wirtschaftlich getragen. Sie habe die Z-GmbH mit dividendenträchtigen Beteiligungen ausgestattet, um ihr den Ausgleich der Verluste der A-, B- und C-GmbH zu ermöglichen. Dadurch habe sie auf die entsprechenden Dividendeneinnahmen verzichtet und die Verluste mittelbar selbst getragen.

Im Übrigen lägen die Voraussetzungen eines begünstigten Dauerverlustgeschäftes i.S.d. § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG nur hinsichtlich der B-GmbH vor, da die von ihr erwirtschafteten Verluste auf kulturpolitischen Gründen beruhen.

Hinsichtlich der Tätigkeiten der A- und C-GmbH lägen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG nicht vor. Auch die Übergangsregelung des § 34 Abs. 6 Satz 5 KStG a.F. sei insoweit nicht anwendbar. Diese Vorschrift gewähre Bestandsschutz, wenn vor dem 18.6.2008 bei der Einkommensermittlung „im Einzelfall“ nach „anderen Grundsätzen“ als nach § 8 Abs. 7 KStG „verfahren“ worden sei. In diesem Fall sollen die (anderen) Grundsätze letztmals für den Veranlagungszeitraum 2011 maßgebend sein, d.h. auch in den Streitjahren 2003 und 2004. Durch die Bezugnahme auf die Verfahrensweise „im Einzelfall“ fordere der Wortlaut des § 34 Abs. 6 Satz 5 KStG a.F. für die Auslösung des Bestandsschutzes, dass vor dem 18.6.2008 bestandskräftige – oder zumindest unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene – Bescheide existierten oder eine verbindliche Auskunft erteilt wurde. Die im Streitfall zu beurteilende Struktur sei erstmals zum 1.1.2003 und damit zum Beginn des ersten Streitjahres aufgesetzt worden. Daraus folge, dass es für diese Konstellation in den Vorjahren noch keine Bescheide gegeben haben könne. Schließlich sei weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, dass für die Streitjahre vor dem 18.6.2008 eine verbindliche Auskunft erteilt worden sei.

Anmerkung

Die für den oben dargestellten Urteilsfall streitentscheidende Regelung in § 8 Abs. 7 KStG wurde durch das JStG 2009 (Bundesgesetzblatt I 2008 S. 2794) eingefügt und gilt grundsätzlich auch für Veranlagungszeiträume vor 2009 (§ 34 Abs. 6 Satz 4 KStG a.F.). Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 KStG lagen im obigen Streitfall nur hinsichtlich der B-GmbH vor. Lagen – wie im obigen Streitfall hinsichtlich der A- und C-GmbH – die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 KStG nicht vor, konnten die Rechtsfolgen der aus der dauerdefizitären Tätigkeit resultierenden vGA nur verhindert werden, wenn die Voraussetzungen der Übergangsregelung in § 34 Abs. 6 Satz 5 KStG (a.F.) erfüllt waren. Diese hatte folgenden Wortlaut: „Ist im Einzelfall vor dem 18.6.2008 bei der Einkommensermittlung nach anderen Grundsätzen als nach § 8 Abs. 7 in der Fassung des Artikels 3 des Gesetzes vom 19.12.2008 (BGBl. I S. 2794) verfahren worden, so sind diese Grundsätze insoweit letztmals für den Veranlagungszeitraum 2011 maßgebend.“ Der im Gesetzestext erwähnte 18.6.2008 ist der Tag der Veröffentlichung des Kabinettsbeschlusses des JStG 2009.

Nach dem BFH-Urteil vom 9.11.2016 (I R 56/15, BStBl. 2017 II S. 498) setzt die steuerliche Begünstigung der dauerdefizitären Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 KStG voraus, dass die Kapitalgesellschaft das Dauerverlustgeschäft selbst ausübt. In dem genannten Urteil betrieb eine Kapitalgesellschaft, an der eine Kommune zu 100 % beteiligt war (sog. Eigengesellschaft), das steuerbegünstigte Dauerverlustgeschäft i.S.d. § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG (Schwimmbad) nicht selbst, sondern ein Verein, an den sie den Betrieb verpachtete. Nach Auffassung des BFH sei auf die Verluste der Kommune aus dieser Verpachtung (entstanden insbesondere durch Zuschusszahlungen an den Verein) § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG nicht anwendbar.

Auch im oben dargestellten Urteilsfall vom 11.12.2018 betrieb weder die Z-GmbH noch die Stadt X das steuerbegünstige Dauerverlustgeschäft selbst, sondern die B-GmbH, deren mittelbare Anteilseignerin die Stadt X war. Im Gegensatz Urteil vom 9.11.2016 lag im jetzigen Streitfall sowohl auf der Ebene des Betreibers des Dauerverlustgeschäfts (B-GmbH) eine vGA (i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) als auch bei der (mittelbaren) Anteilseignerin (Stadt X) eine vGA (i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) vor. Nach Auffassung des BFH gelte deshalb § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG nicht nur auf der Ebene der Verlustkapitalgesellschaft, sondern auch auf der Ebene der (mittelbaren) Anteilseignerin. Dies habe zur Folge, dass für die vGA aus der Tätigkeit der B (Verluste beruhen auf kulturpolitischen Gründen i.S.d. § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG) keine Kapitalertragsteuer bei der Stadt X nachzufordern sei, zumal sie die Verluste der B-GmbH durch die Einlage von Beteiligungen in die Z-GmbH (die daraus fließenden Dividendeneinnahmen ermöglichten der Z-GmbH den Ausgleich der Verluste der A-, B- und C-GmbH) auch tatsächlich wirtschaftlich getragen habe (§ 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG).

Für die vGA aus den Dauerverlustgeschäften der A- und der C-GmbH ist die Begünstigung nach § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG nicht anwendbar, da deren Dauerverluste nicht auf einer begünstigten Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG beruhten. Für die Erhebung von Kapitalertragsteuer stand insoweit auch kein Bestandsschutz entgegen (§ 34 Abs. 6 Satz 5 KStG a.F.).